Next to Normal ist alles andere als fast normal. Kaum ein Musical schickt sein Publikum auf eine solche emotionale Achterbahnfahrt und bringt ein Thema auf die Bühne, dass so nah an das alltägliche Leben herankommt. Seit der deutschen Uraufführung im Oktober 2013 begeistert vor allem die Produktion aus Fürth und hat längst eine große Fangemeinde gewonnen – nicht nur Dank der erstklassigen Cast. Vom 26. bis 30. April machte die Erfolgsproduktion in der Staatsoperette Dresden Station.
Auf den ersten Blick wirkt Familie Goodman völlig normal. Tochter Nathalie ist hochbegabt und übt angestrengt für ihr Vorspiel und die Abiturprüfungen. Sohn Gabe kommt früh morgens nach Hause und wird von seiner Mutter gerügt. Vater Dan ist gestresst und versucht, alles unter einen Hut zu bekommen. Hinter der Fassade sieht das Familienleben ein wenig anders aus – Diana leidet an einer bipolaren Störung und hat eine enge Beziehung zu ihrem Arzt und dessen Psychopharmaka. Durch ihre Erkrankung steht die ganze Familie auf wackeligen Füßen. Dianas ganzer Halt, scheint ihr Sohn Gabe zu sein. Er ist ihr ganzer Stolz und Mittelpunkt ihres Lebens. Während Diana gegen ihre eigenen Dämonen kämpft, versucht Dan die Familie zusammenzuhalten und jedes Familienmitglied wo er kann zu unterstützen. Als seine Frau Diana zunehmend tiefer in die Krise abgleitet, verliert er nicht nur seine Tochter sondern auch sich selbst aus den Augen.
Next to Normal ist ein emotional anspruchsvolles Stück, das sein Publikum auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle schickt. Eine sechsköpfige Band, unter der Leitung von Christoph Wohlleben, spielt den ganzen Abend mit voller Power die modernen, rockigen Songs und beweist sehr deutlich – mehr Musiker sind hier nicht nötig. Die Musik ist voller Gefühl, laut und leise, aufrüttelnd und besänftigend, stimmungsvoll.
Pia Douwes steht als Diana Goodman auf der Bühne. Sie kreierte die Rolle bereits in der deutschsprachigen Uraufführung und scheint nur noch tiefer in den Charakter der Diana vorgedrungen zu sein. Mit großer Tiefe und zu jeder Zeit überzeugenden Gefühlen, zeigt sie den Kampf ihrer Figur, die sich zwischen den Höhen und Tiefen ihrer Krankheit bewegt. Spätestens mit dem Titel „Mir fehl’n die Berge“ wird deutlich, dass Pia Douwes die Rolle auch stimmlich mühelos ausfüllt und hier einen hohen Maßstab für ihre Kollegen setzt, dem, das sein vorweggenommen, alle gerecht werden.
Dan Goodman ist das Familienoberhaupt und versucht, um alles in der Welt seine Familie zusammenzuhalten. Felix Martin, der als einziger nicht zum Originalcast der deutschen Uraufführung zählt, spielt den Vater sehr emotional und zeigt vor allem in der Beziehung zu Bühnenpartnerin Pia Douwes eine sehr enge Beziehung. Sein Dan versucht verzweifelt Diana, nah zu sein und ihr den Halt zu geben, den sie braucht, jedoch scheint es als ob er dabei immer wieder gegen eine unsichtbare Wand prallt. In der Beziehung zu Tochter Nathalie (Sabrina Weckerlin) bleibt er etwas blasser und scheint ihr weniger nah zu sein, dies fügt sich jedoch hervorragend in das Stück ein und unterstreicht die schwierige Situation in der sich Nathalie befindet.
Von ihren Eltern mehr oder weniger allein gelassen, konzentriert sich Nathalie mit aller Kraft auf ihr Vorspiel und flüchtet sich in die klar strukturierte Welt der klassischen Musik. Erst Henry (Dominik Hees) gelingt es, sie herauszureißen. Er zeigt ihr eine andere Welt und gibt ihr Halt. Sabrina Weckerlin spielt die Rolle der 16-jährigen Tochter sehr überzeugend und zeigt mit ihrem facettenreichen Schauspiel, wie wandlungsfähig sie ist. Auch gesanglich ist sie einer der Höhepunkte des Abends und erntet verdienten Szenenapplaus.
Dominik Hees als Herny ist das perfekte Pendant zu Tochter Nathalie – eher rebellisch und unkonventionell, lockt er sie aus ihrem Schneckenhaus. Er ist der Sunnyboy des Stücks, immer gut gelaunt und mit einer schier unendlichen Loyalität und Verständnis gegenüber Nathalie. Dominik Hees passt nicht nur optisch sehr gut in die Rolle des Henry, auch gesanglich und schauspielerisch überzeugt er durchweg und schafft es immer wieder auch dunklere Szenen humorvoll aufzulockern.
Als verrückter Rockstar-Doktor macht Ramin Dustdar eine hervorragende Figur – besonders seine schnellen Wechsel von Rockstar zu verständnisvollem Therapeuten bringen das Publikum zum Lachen und lassen über die blitzschnellen Wechsel staunen.
Dirk Johnston als Sohn Gabe ist so etwas wie der dunkle Engel, denn immer wenn er die Bühne betritt scheint sich eine Katastrophe anzubahnen. Seine Darstellung ist jedoch alles andere als katastrophal – jeder Ton sitzt und besonders in der Interaktion mit Diana (Pia Douwes) zeigt sich die verzweifelte Seite seines Charakters. Als typischer Teenager springt er immer wieder zwischen lauter Provokation („Ich lebe“) und ruhigem, fast einlullendem Charme („Komm mit mir“) hin und her.
Insgesamt ist Next to Normal ein besonderes Musical, dass sicher vor allem beim jüngeren Publikum gut ankommt. Der Humor ist stellenweise fast schon morbide, man weiß kaum, ob man über einige der Witze lachen sollte. Nach dem ersten Akt fragt man sich „wohin soll das führ’n?“. Ein Happy End scheint aussichtslos und die Handlung abgeschlossen. Der zweite Akt kommt um einiges hoffnungsvoller daher – er wirkt aufgelockert und das Publikum erhält einen tieferen Einblick in Nathalies und Dianas Beziehung, aber auch die Beziehung zwischen Diana und Dan. Gleichzeitig gibt es trotz all der Tragik mehr Witz und, auch wenn es kaum machbar scheint, schafft es Next to Normal, dass das Publikum am Ende mit einem guten Gefühl den Saal verlässt.
Das Dresdner Publikum zumindest ist vollends begeistert und belohnt die Leistung von Darstellern und Band mit Standing Ovations. Die Darsteller sind sichtlich gerührt als die Dresdner Zuschauer sie kaum gehen lassen wollen und kehren für mehrere Curtain Calls auf die Bühne zurück. Next to Normal funktioniert und auch wenn das Musical nach 2013 zeitweise an mehreren Spielorten zu sehen war, ist der Hype ungebrochen. Eben kein ganz normales Musical.