Jesus Christ Superstar. Das Stück, welches seit Anfang der 1970er Jahre in schier unzähligen Theatern, Opernhäusern und Open-Air Inszenierungen aufgeführt wurde und immer noch wird, hat bis heute nichts an seiner Aktualität verloren. Obwohl die Geschichte selbst schon mehr als 2000 Jahre alt ist, ganz gleich in welchem Jahrhundert oder Jahrzehnt es auf die Bühne gebracht wird, es scheint immer im Jetzt und Hier zu spielen. Vielleicht ist gerade dies das Geheimnis, warum der Erfolg scheinbar vorprogrammiert ist, sobald es irgendwo auf dem Spielplan steht.
Wie zu Ostern in vielen Häusern mittlerweile zum Standard geworden, zeigte auch das Theater am Marientor in Duisburg dieses Stück. Mit Jesus Christ Superstar ging seit Erbauung des Theaters erstmalig eine Eigenproduktion an den Start. Zunächst nur als konzertante Aufführung geplant, kristallisierte sich bald heraus, dass durch begleitendes Schauspiel dem Inhalt noch mehr Ausdruck verliehen werden konnte. So entstand eine Art semikonzertante Variante des Stücks, die sich zwar auf das Wesentliche, sprich Musik und Gesang konzentrierte, dabei ohne aufwendige Kostüme und so gut wie keine Requisiten auskam, aber dennoch nicht nur darauf reduziert wurde.
Das, für diese Art der Produktion verhältnismäßig große, 12-köpfige Orchester der Kölner Symphoniker unter der Leitung von Inga Hilsberg, fand ihren Platz nicht wie gewohnt im Orchestergraben, sondern bildeten einen Teil des eher puristischen Bühnenbildes. Dieses wurde eigens für die Duisburger Inszenierung designt und bestand aus einer überdimensionalen Dornenkrone und verschiedenen Spielebenen. Ein multifunktionaler LED-Screen, der perfekt in das Lichtdesign von Michael Grundner integriert wurde, kam in der Version des Rockoper-Klassikers von Andrew Lloyd Webber ebenfalls zum Einsatz und rundeten das Gesamtbild damit ab.
Die Story, die die letzten sieben Tage vor der Kreuzigung Jesu aus der Perspektive seines Freundes und späteren Verräters Judas erzählt, ist immer wieder, gleich in welchem Jahrzehnt sie aufgeführt wird, beinahe tagesaktuell. So finden sich in jeder Zeit auch die passenden Kostüme der jeweiligen Ist-Zeit. Wallende Gewänder oder frühhistorische Bekleidung sucht man auch hier vergebens. Der Jesus von heute trägt Jeans und T-Shirt, seine Jünger Sweater und Jacken im legeren Freizeitlook. Einzig König Herodes sticht mit seinem extravaganten Kostüm, hier sicherlich gewollt und absolut passend, aus der Masse hervor. Unter den Jüngern befinden sich nicht ausschließlich Männer, sondern auch ein ansehnlicher Anteil Frauen, die dem parallel dargestellten Chor die nötigen höheren Töne verleihen.
Seit seiner Erstaufführung in Deutschland, am 18. Februar 1972 in der Halle Münsterland in Münster, mit Reiner Schöne in der Hauptrolle, sind zahlreiche Protagonisten, zum Teil auch mehrfach in die Rolle des Jesus geschlüpft. Auch für Patrick Stanke, der in der Produktion des Theaters am Marientor den Jesus gibt, ist diese Rolle nicht ganz neu. Bereits vor der Aufführung in Duisburg durfte er in fünf unterschiedlichen Inszenierungen, unter anderem bei den Freilichtspielen Tecklenburg oder in der Open-Air-Produktion in Schwäbisch Hall in den vergangenen Jahren „offiziell Wunder vollbringen“, wie es in seiner Vita heißt.
Die Notwendigkeit ein Wunder vollbringen zu müssen, ist in diesem Fall sicher nicht gegeben, denn auch ohne ein solches haben zahlreiche Besucher den Weg ins Theater am Marientor in Duisburg
gefunden, um der durchaus gelungenen Aufführung beizuwohnen. Sie werden nicht enttäuscht, denn Stankes Darstellung des Jesus überzeugt. Gerade dieses Stück bietet ein Vielfalt an Möglichkeiten, das Individuum Jesus dem Zuschauer näher zu bringen. Dabei ist nichts falsch oder richtig. Ein wütender, aggressiver Jesus wirkt genauso überzeugend wie ein verletzlicher, unsicherer. In Duisburg ist Judas (Andrea Pagani) derjenige, der im Gegensatz zu Jesus forsch und fordernd auftritt. Dieses Zusammenspiel zwischen Stanke und Pagani passt jedoch perfekt. Auch stimmlich ergänzen sich die beiden hervorragend. Doch nicht nur Stanke kann auf einige Erfahrung in dem Stück zurückgreifen. Bereits 2013, als Gil Mehmert sowohl im Opernhaus Bonn , als auch später in der Oper Dortmund Jesus Christ Superstar inszenierte, war sie zeitweise an der Seite von Mark Seibert, Alexander Klaws und Alexander Bruckner zu sehen. Dionne Wudu, anfänglich noch etwas zaghaft, packt im Verlauf des Abends dann doch noch ihre gesamte Stimmkraft aus und rundet das Gesamtbild damit ab.
Der Dritte im Bunde, der auf bereits zahlreich absolvierte Auftritte in Jesus Christ Superstar zurückblicken darf ist Andrea Matthias Pagani. Sein ungeheuer kraftvolles Stimmvolumen, das er Judas zuteil werden lässt, lässt gleich zu Beginn aufhorchen. Von der ersten Minute nimmt er die Zuschauer mit, die wie gebannt seiner Darstellung folgen. In einer anderen Rolle ist er, aller Voraussicht nach, ab Herbst im Theater am Marientor zu sehen, nämlich wenn „Wallace – Das Musical“ dort seine Zelte aufschlägt.
Der „Paradiesvogel“ unter den Darstellern ist ohne Zweifel Ralph Morgenstern, der den meist etwas überdrehten, skurrilen König Herodes gibt. Obwohl grell und schräg geschminkt, in ein provokantes Outfit gesteckt, stellt er genau das dar, was in dieser Szene gefragt ist. In seiner geschickt gewählten Kombination aus Reifrock und Frack macht er dennoch keine lächerliche Figur, sondern singt sich sogleich in die Herzen der Zuschauer. Als er zum Ende seines Songs auch noch den Rock lüpft, wird dieser mit großem, verdienten Applaus honoriert.
Seinen nicht nur musikalischen, sondern auch optischen Höhepunkt erreicht das Stück nach einem emotional von Patrick Stanke dargebotenen „Gethsemane“, die Kreuzigung. Dazu wird die zuvor noch flach auf der Bühne gelegene Dornenkrone, ebenso wie Stanke, in ihrer Mitte an einem Ende gen Himmel gezogen und beherbergt in gefühlter Unendlichkeit den gekreuzigten Jesus. Allein das gefühlt minutenlange seitliche Wegstrecken der Arme ohne jegliche Hilfsmittel von Patrick ist einen Szenenapplaus wert. Alle Darsteller erbringen an diesem Abend eine hervorragende Leistung und werden am Ende mit verdienten Standing Ovations verabschiedet.
Mit der ersten Eigenproduktion des Theaters am Marientor ein Zeichen gesetzt. Mit diesem gelungenen und erfolgreichen Einstieg darf man sicherlich in Zukunft auf mehr davon hoffen. Das nächste Projekt ist bereits in Arbeit und traut sich sogar an eine Welturaufführung. Die Vorbereitungen dazu laufen bereits auf Hochtouren und hören sich vielversprechend an. Es bleibt also spannend…