Liebe im Zeichen der Revolution – Dr. Schiwago in der Musikalischen Komödie Leipzig

Doktor Schiwago 27.01.18 Jan Ammann & Lisa Habermann Musikalische Komödie © Kirsten Nijhof

Am 27. Januar feierte das Musical „Dr. Schiwago“ in der Musikalischen Komödie Leipzig die deutschsprachige Erstaufführung. Cusch Jung, der sich bereits für vorangegangene Produktionen verantwortlich gezeigt hat, ist mit dieser Inszenierung ohne Zweifel ein Meisterwerk gelungen. Hier stimmt einfach alles: Besetzung, Inszenierung, Bühnenbild, Orchester… Aber vielleicht sollte man von vorn beginnen.

Was fällt einem als erstes bei dem Titel „Dr. Schiwago“ ein? Eine weltbekannte Musik, die fast jeder in irgendeinem Zusammenhang schon einmal gehört hat? Ein Leinwandepos mit Berühmtheiten wie Omar Sharif, Julie Christie, Sir Alex Guiness oder Klaus Kinski, um nur einige zu nennen? Ein Musical ist da sicherlich nicht der erste Gedanke, der einem in den Kopf kommt, zumal sich noch nicht wirklich viele Regisseure an dieses Stück herangewagt haben. Premiere hatte es 2006 im La Jolly Playhouse in San Diego, Kalifornien, USA – dort unter dem Namen Zhivago. Lange lief es dort nicht. Auch die Tournee durch Australien im Jahre 2011, die Aufführungen 2012 in Korea und 2014 in Skandinavien waren nicht von längerer Dauer. Mit der Wiederaufnahme 2015 erhoffte man sich den großen Erfolg am Broadway, wo es jedoch nach nur 26 Previews und 23 Vorstellungen mangels ausreichender Kartenverkäufe wieder abgesetzt wurde. Diese Sorge hat die Musikalische Komödie in der aktuellen Spielzeit eher nicht. Schon vor der Premiere waren zahlreiche Vorstellungen ausverkauft und gleich nach der Premiere schier unmöglich, noch an Karten zu kommen. Um jedoch der berechtigt großen Nachfrage gerecht zu werden, wurde es sogleich, wenn auch leider nur für fünf Vorstellungen im November und Dezember 2018, wieder im Spielplan aufgenommen.

Ein bisschen verwunderlich ist der Erfolg schon, denn der Inhalt des Musicals, das auf dem gleichnamigen Buch von Boris Pasternak beruht, ist alles andere als leichte Kost. Das Ganze dann noch in Gleichklang mit der passenden Musik zu bringen, eine weitere Herausforderung. „Einfach nur die originäre russische Poesie Pasternaks zu verwenden und diese schlicht ins Englische zu übersetzen war keine Option“, laut der Komponistin Lucy Simon, „sie fließen im Rhythmus der russischen Sprache, auf englisch sind die Worte weitaus weniger musikalisch“. Den Vergleich können die Zuschauer in der Musikalischen Komödie natürlich nicht ziehen, aber die Übertragung ins Deutsche bedarf eines solchen auch nicht. Für die deutsche Erstaufführung haben Jürgen Hartmann (Buch) und Sabine Ruflair (Gesangtexte) eine mehr als großartige Leistung vollbracht.

Doktor Schiwago 27.01.18 Chor Musikalische Komödie © Kirsten Nijhof

Doch wie schafft man es nun einen solchen Stoff überhaupt auf die Bühne zu bringen? Das Leben des Dr. Jurij Schiwago (Jan Ammann), beginnend mit dem Tod seines wohlhabenden Vaters, seine Jugend bei Zieheltern, Medizinstudium, die Heirat mit Tonia (Hanna Mall), die er bereits seit Kindertagen kennt, und einer anderen jungen Frau, Lara, deren Wege sich immer wieder mit den seinigen kreuzen. Allerdings ist all dies bei weitem nicht so harmonisch, wie es zunächst den ersten Anschein haben mag. Das Leben in Russland um die Jahrhundertwende ist geprägt von den Wirren der letzten Tage des Zarenreiches und der aufflammenden Russischen Revolution, in dem die Liebe keinen wirklichen Platz findet. Somit gerät Schiwago nicht nur politisch zwischen die Fronten, sondern beginnt mit der geheimnisvollen Lara (Lisa Habermann) auch eine leidenschaftliche Affäre, wohl wissend, dass dies alles andere als richtig ist. Aber Jurij ist nicht ihr einziger Verehrer. Viktor Komarovskij (Patrick Rohbeck), ebenso ein reicher wie gewissenloser Verführer aus Laras Jugend, und ihr Ehemann Pascha Antipov (Björn Christian Kuhn), Führer der Roten Armee, kämpfen um ihre Liebe und ihr Herz.

Doktor Schiwago 27.01.18 Jan Ammann & Lisa Habermann Musikalische Komödie © Kirsten Nijhof

Viele der Szenen auf der Bühne bestechen durch ihre Einfachheit und treffen dennoch genau den Punkt, auf den es ankommt, um aus dem Zuschauer, der auch nur ein bisschen Phantasie zu haben vermag, Bilder vor Augen zu führen, die manchmal auch einen bitteren Beigeschmack haben. So sind die Passagen im Lazarett oder an der Front gewiss keine angenehmen. Doch für das ganze Stück sind sie unverzichtbar und geben ihm noch einmal mehr etwas Intensives. Dabei wirkt das Ganze zu keiner Zeit kitschig, sondern eher verzweifelt, hilflos und gleichzeitig  bedrohlich.

Das Bühnenbild an sich wird hauptsächlich getragen durch die geschickt eingesetzte Beleuchtung von Thorsten Mengel und Videoprojektionen/ -technik von Jens Gelbhaar und Wolfgang Witt. Der schräg nach vorne abfallende Boden verleiht der Bühne einen gewissen Grad an Tiefe, die es erlaubt zeitgleich Szenen im Vorder- und im Hintergrund darzustellen, die dem Zuschauer einiges an Konzentration abverlangen, um allen Details parallel folgen zu können. Sehr authentisch aus dieser Zeit sind auch die Kostüme der Kostümwerkstätten der Oper Leipzig, unter Leitung von Kostümdirektorin Silke Wey und ihrem Team.

Sicherlich steuert die grandiose Besetzung einen Löwenanteil zu diesem Erfolg bei. Mit Jan Ammann und Lisa Habermann, um nur zwei der Hauptrollen zu benennen, hat die Musikalische Komödie voll ins Schwarze getroffen. Hier kommt es nicht nur darauf an, mit wunderbaren Stimmen durch das gut drei Stunden dauernde Stück zu führen, sondern auch auf große schauspielerische Qualitäten.

Jan Ammann, der Musicalfans bereits aus zahlreichen anderen Rollen, wie zuletzt den Grafen von Krolock im Tanz der Vampire in Hamburg oder auch als König Ludwig im gleichnamigen Muscial in Füssen, bekannt ist, liefert in Leipzig eine wahre Meisterleistung ab. Von der ersten Minute an ist man als Zuschauer in seinem Spiel gefangen. Die Emotionen schwappen von der Bühne hinunter in den Zuschauerraum. Die liebevoll bei der Premiere auf den Sitzen verteilten Taschentücher mit der Aufschrift: „Zum Heulen schön“, liegen dort nicht von ungefähr. Man liebt und leidet unwillkürlich mit den Darstellern mit. So seelisch zerrissen hat man Jan Ammann selten auf der Bühne erlebt. Jede Sekunde nimmt man ihm seine Rolle ab und kann von seinem Schauspiel kaum genug bekommen. Und als wenn das nicht schon genug wäre, bezaubern sowohl Jan Ammann mit seinem wunderbaren Bariton als auch Lisa Habermann mit ihrer klaren Stimme, indem sie die sofort ins Ohr gehende Musik grandios umsetzen. Aber auch alle anderen Protagonisten leisten großartiges. Björn Christian Kuhn der sich vom jungen Rebellen zum unerbittlichen Milz-Soldaten wandelt, als auch Hanna Mall, die vom jungen Mädchen zur Frau reift und trotz des Wissens von der Affäre Jurijs zu ihm hält, verstehen beide darstellerisch als auch gesanglich zu überzeugen.

Doktor Schiwago 27.01.18 Ensemble Musikalische Komödie © Kirsten Nijhof

Das Orchester unter der Leitung von Christoph-Johannes Eichhorn sorgt für einen gleichbleibend guten Sound. Kleine Abstriche muss man lediglich in den Chorszenen machen, wo die Texte mit der Musik teilweise dermaßen verschmelzen, dass der Inhalt nicht mehr zu verstehen ist.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass es sich in jedem Fall lohnt, nach Leipzig zu fahren und sich Dr. Schiwago anzusehen. Selten wurde ein so schwerer Stoff, scheinbar so mühelos verarbeitet. Allen Beteiligten kann man dazu nur gratulieren: Ganz großes Kino in der Musikalischen Komödie Leipzig!