Neben “My fair Lady” wird bei den Bad Hersfelder Festspielen in diesem Jahr außerdem der Erfolg aus dem letzten Jahr erneut aufgeführt: Cabaret! Das derzeit in Deutschland oft gespielte Stück war bereits 2015 in der Inszenierung von Regisseur Gil Mehmert zu erleben. Wir haben uns die Chance nicht nehmen lassen und haben es uns in diesem Jahr angesehen. Unsere Meinung lest ihr hier.
Kaum jemand, der sich mit dem Thema “Musical” auseinandersetzt, kommt derzeit um das Musical “Cabaret” herum. Das bereits 1966 uraufgeführte Musical wurde zudem auch noch 1972 von Bob Fosse verfilmt. Der Film bedeutete für Liza Minelli einen großen Durchbruch und machte den Stoff einem breiten Publikum bekannt.
Das Musical beginnt in Berlin im Winter 1929. Der erfolglose Schrifsteller Clifford Bradshaw kommt nach einer längeren Rundreise durch Europa, die ihn auch nach London und Paris führte, nach Berlin. Hier hilft er dem deutschen Ernst Ludwig beim Schmuggeln und dieser empfiehlt ihm dann nicht nur die Pension von Fräulein Schneider, sondern auch den Kit Kat Club. Hier lernt er dann Sally Bowles aus England kennen, die sich auch prompt selbst bei ihm einquartiert und schon bald schwanger wird. Nebenbei erlebt Fräulein Schneider ihren zweiten Frühling mit dem jüdischen Obsthändler Herr Schulz und verlobt sich eher zufällig auch noch. Doch diese Verlobung währt nicht lange, als sich Ernst Ludwig als Nationalsozialist zu erkennen gibt und die Verlobung zum Kippen bringt.
Die politischen Strömungen erkennend, plant Cliff daraufhin Berlin mit Sally zu verlassen. Doch diese hat andere Pläne, lässt das Kind abtreiben und tritt wieder im Kit Kat Club auf.
Weit entfernt von den Regieansätzen bisheriger Aufführungen und der Verfilmung ist hierbei die Inszenierung aus Bad Hersfeld. Gnadenlos, schmutzig und doch schillernd bunt ist hier das Berlin, das auf die Bühne gebracht wird.
Als Sally Bowles ist hier, wie bereits im letzten Jahr, Bettina Mönch zu erleben, die eine für die Rolle eher ungewohnte Kraft in ihre Stimme legt und sowohl die intimen Szenen souverän spielt, als auch in den großen Gesangsnummern zu überzeugen weiß. Während der Soundchecks konnte man hier außerdem bereits mehrmals ihr “Maybe this time” bewundern.
Rasmus Borkowski machte aus der eher undankbaren Rolle des Clifford Bradshaw dann doch dank seines angenehmen Gesangs ein kleines Highlight, der außerdem die Wandlung in der Rolle, von Euphorie bis Verzweiflung am Ende, authentisch spielte.
Für den Conferencier eine eher außergewöhnliche Besetzung ist sicherlich Helen Schneider. Die in Bad Hersfeld beliebte Darstellerin, die hier bereits in Evita und Sunset Boulevard zu sehen war, spielte die androgyne Rolle bereits im letzten Jahr. Mit einer wandelbaren Mimik und gnadenloser Bissigkeit unterstreicht sie ernste Momente im Stück, nur um die Ernsthaftigkeit dann doch wieder im nächsten Augenblick zu zerstreuen.
Der jüdische Obsthändler Herr Schulz und die Pensionsbesitzerin Fräulein Schneider wurden in diesem Jahr von Helmut Baumann und Kathrin Ackermann gespielt. Während Helmut Baumann bereits im letzten Jahr üben konnte, spielte Kathrin Ackermann in diesem Jahr ihre Rolle zum ersten Mal in Bad Hersfeld. Das Zusammenspiel der beiden ist ein wichtiger Pfeiler in diesem Stück, da diese Kleinigkeit Erfolg oder Scheitern bedeuten kann. Glücklicherweise harmonieren beide so anrührend miteinander, dass gerade das Ende einem wirklich noch einmal bewusst machen, mit welchem Unrechtsregime man es damals zu tun bekam.
Die in anderen Inszenierungen wirklich unnötig überzogen unsympathisch dargestellte Fräulein Kost wird hier von Jessica Kessler gespielt, die gerade in dieser Saison zeigt, wie wandelbar sie als Darstellerin ist. Sie spielt nämlich neben Cabaret außerdem noch in My Fair Lady.
Wie auch Helen Schneider als Conferencier bereits zu Beginn verkündet, ist auch das Orchester wunderschön. Das Orchester umfasst 23 Personen unter der Leitung von Christoph Wohlleben, wobei zwei davon meistens auf der Bühne spielen.
Diese Inszenierung arbeitet aus dem bekannten Stoff doch einige Kleinigkeiten heraus und macht sie deswegen gerade so sehenswert. Hier werden neben den bekannten Songs der Uraufführung auch die Songs aus der Verfilmung wie “Mein Herr”, “Money” und “Maybe this time” gespielt. Kleine Zugabe war außerdem der oft gestrichene Song von Herr Schulz “Mieskeit” der bei der Verlobungsfeier gespielt wird. Das Bühnenbild besteht hier aus einem großen Karussel, auf dessen Rückseite die Pensionszimmer zu sehen sind und auf der Vorderseite der Kit Kat Club als großer Pianoflügel in Schräglage mit überdimensionalen Tasten.
Der gelungenen Inszenierung tut es dann auch keinen Abbruch, wenn – wie bei der Vorstellung die wir besuchten – nach der großen Eröffnungsnummer der Vorhang vor dem Berlin-Karussel nicht herunterfällt, sondern mühsam von Bühnenmitarbeitern entfernt werden musste.
Auch wenn man vorerst diese Inszenierung von Cabaret vorerst nicht mehr erleben kann, so macht diese Inszenierung doch noch mehr Lust auf andere Inszenierungen von Gil Mehmert. Eine Neuinszenierung von “Sunset Boulevard”, die Gil Mehmert bereits für die Bad Hersfelder Festspiele inszeniert hat, ist ab Oktober in Dortmund zu sehen.