Ausbruch aus Spießerstadt – „American Idiot“ ein Erfolg auf ganzer Linie

Die Cast von „American Idiot“ bringt die Batschkapp zum Beben © Agnes Wiener / Niklas Wagner

Manchmal hat man da ein Musical, das hat man vielleicht live gesehen oder nur die Cast-CD rauf und runter gehört und fragt sich, wann dieses denn endlich in Deutschland aufgeführt wird. In der Regel wartet man dann sehr lange und läuft dann vielleicht Gefahr, dass einem die hier aufgeführte Inszenierung nicht gefällt. Um das zu verhindern, muss man es wohl einfach selbst machen. So oder so ähnlich sahen wohl die Gedanken vom Team von “Off Musical Frankfurt” aus, die zuvor auch bereits “Hedwig and the angry Inch” aufgeführt haben. Dieses junge Produktionsunternehmen hat nun den nächsten Geniestreich auf Lager: die deutschsprachige Erstaufführung des Green Day Musicals “American Idiot” in der Batschkapp Frankfurt.

Das Musical wurde 2009 in Berkeley uraufgeführt und zog dann 2010 an den Broadway. Es behandelt die Geschichte von Johnny und seiner Freunde, die den Traum hegen, aus dem spießbürgerlichen Umfeld auszubrechen und in die Großstadt zu ziehen. Für Will ist der Traum bereits vorbei, bevor er anfängt, da seine Freundin ungewollt schwanger wird. Tunny lässt sich derweil von den verlockenden Angeboten der Armee einwickeln und zieht in den Krieg. Johnny, der Dritte im Bunde, gerät in den Sog von Drogen und erdenkt sich ein Alter Ego, das er St. Jimmy nennt. Nebenbei gerät er an seine große Liebe, doch erinnert sich am Ende nicht einmal mehr an ihren Namen. Es werden neben Drogensucht und einer Jugend, in einer Zeit nach den Anschlägen des 11. September, auch das Erwachsenwerden und der Suche nach dem eigenen Sein thematisiert. Die Handlung lässt dabei vor allem in der Inszenierung von Thomas Helmut Heep, der auch grandios “Hedwig and the angry inch” inszenierte, viel Möglichkeiten für eigene Interpretationen.

Die Handlung wird ohne Dialoge ausschließlich von der Musik von Green Day getragen, die von den Darstellern mit großer Energie gesungen werden und von der Band, unter der Leitung von Dean Wilmington, den richtigen Sound verliehen bekommt, sodass die Batschkapp regelmäßig bebt. Lediglich einige Eckpfeiler der Handlung werden von Philipp Büttner in der Rolle des Johnny gesprochen gespielt, wobei es dabei gespenstisch still auf der Bühne wird. Ein gutes Händchen beweist man hier auch beim Casting, da jede der zehn Rollen treffend besetzt wurde und auf seine oder ihre eigene Art zu bewegen weiß. Herausragend ist hier das Zusammenspiel von Lisa Antoni als namenlose große Liebe “Whatsername” von Johnny, der von Philipp Büttner dargestellt wird. Ihr Solo “Briefbombe” kurz vor dem großen Finale erschüttert selbst den härtesten Besucher bis auf die Knochen.

Philipp Büttner als Johnny reflektiert sein Handeln © Agnes Wiener / Niklas Wagner

Das Bühnenbild ist sparsam ausgestattet, trifft dabei aber genau ins Schwarze und rückt die Darsteller noch mehr in den Fokus. Dank eines Laufstegs durch das Parkett kommt man den Darstellern auch regelmäßig sehr nah. Ein großer Pluspunkt der Location ist auch, dass niemand wirklich weit von der Bühne entfernt sitzen muss. Das Bühnenbild an sich besteht aus einem schräg von der Decke hängenden Spiegel, der der Bühne noch mehr räumliche Tiefe gibt und so auch viele Szenen aus einem anderen Blickwinkel betrachten lässt. Die Wahl eines Spiegels, der übrigens halbdurchsichtig ist, lässt viel Raum für Interpretationen und Spekulationen – ob der Regisseur dem Publikum das eigene Verhalten vor Augen führen will? Das übrige Bühnenbild setzt sich aus einer Vielzahl von Stühlen zusammen, die mal als Bus gebraucht werden und dann wieder barrikadenartig zu einem Haufen gestapelt werden.

Besonders nah kommt das Publikum den Darstellern übrigens bereits zu Beginn der Show, wenn “American Idiot” quasi aus dem Publikum heraus gesungen wird, da die Darsteller nur mit Adleraugen an den Mikrofonen erkennbar mitten unter den Zuschauern sitzen. Kleiner Tipp: in die Nähe von reservierten Plätzen setzen. Dort setzen sich in der Regel die Darsteller hin, bevor die Show losgeht.

Die Texte sind von vorne bis hinten auf deutsch übersetzt worden. Verantwortlich zeichnet sich hier Titus Hoffmann, der bereits sein Feingefühl bei der Übersetzung von “Next to normal” unter Beweis stellte und hier selbst für die schwierigste Formulierung eine treffende Übersetzung ins Deutsche findet.

Das Musical gehört übrigens zu den wenigen Shows, die ganz auf eine Pause verzichten. So hat man gut eineinhalb Stunden eines kurzweiligen und bewegenden Erlebnisses ohne für eine Pause aus der Handlung gezogen zu werden. So kommt einem auch jede Nummer, die wirklich Schlag auf Schlag folgen, vor wie ein eigenes Finale. Wem klassiche Musicals zu langweilig sind und wer ein einmaliges Erlebnis sucht, sollte einen Besuch in der Batschkapp wirklich in Betracht ziehen. Es lohnt sich hier sogar eine längere Anfahrt – so etwas bekommt man in Deutschland sonst selten geboten. Ein zutiefst berührendes Erlebnis, das noch lange nachbebt – kurzweilig, bewegend und tiefgründig. American Idiot spielt noch bis voraussichtlich 10.05.18 in der Batschkapp. Der Abend macht neugierig, welches Musical sich die junge Produktionsfirma vornimmt – die bisherigen Erfolge sind durchaus vielversprechend.

Informationen zum Spielplan und zu den Tickets sind hier zu finden.