Gelebte Geschichte in Füssen – König Ludwig² begeistert nicht nur „Kini“-Fans

König Ludwig II (Jan Ammann)
(c) Iris Hamann

Mythos, Legende, Unsterblichkeit – eigentlich steckt von all dem ein bisschen in König Ludwig II. Natürlich ist er keinesfalls eine Märchenfigur, auch wenn er allerseits als Märchenkönig bezeichnet wird. Doch auch in einem Märchen werden die Protagonisten von Grausamkeiten, Mord und Intrigen begleitet. Man sollte sich bewusst machen, dass Märchen durchaus nicht die seichten Kindergeschichten sind, die sie augenscheinlich zu sein scheinen. Doch gleich wie viel Geschichten sich um das Leben Ludwigs II ranken, ihn hat es nachweislich gegeben – er hat real auf dieser Welt gelebt. Wenn auch vielleicht nicht alle Erzählungen, die sich um ihn ranken, zu einhundert Prozent der Wahrheit entsprechen, so steckt dennoch eine Menge gelebte Geschichte darin.

Würde er in der heutigen Zeit leben, könnte man ihn durchaus als Paradiesvogel bezeichnen, der eher ein Träumer als ein Realist wäre. Aber auch gleichermaßen als einen Mann, der es verstünde, seine Fantasien wahr werden zu lassen. Als Oberhaupt von Bayern jedoch, machte er sich mit dieser Einstellung weitaus nicht nur Freunde. Seine unendliche Liebe zu Opern, seine – zumindest immer so dargestellte – tiefe freundschaftliche Beziehung zu Komponist Richard Wagner, seine nicht zu stoppende Bauwut und nicht zuletzt seine Entscheidungen, die oftmals eher mit dem Herz als dem Verstand getroffen wurden, waren dem politischen Volk durchaus ein Dorn im Auge. Dennoch hinterließ er der Nachwelt Kulturgüter, die ihresgleichen in der Welt suchen und jährlich hunderttausende Touristen aus aller Welt anlocken. Eines dieser wunderbaren Nachlässe ist Schloss Neuschwanstein, das in luftiger Höhe, eng an den Berg geschmiegt, von seinem Standort aus einen weiten Blick über die umliegende Landschaft und das Örtchen Füssen freigibt. Lässt man dann das Auge weiter schweifen, entdeckt man von dort aus, am Ufer des Foggensees, das Festspielhaus, das sich durch seine von diesem Standort aus sichtbare, gefällige Außenhülle homogen in die Landschaft einfügt.

Prinz Ludwig (Ben Bickele) möchte, von Sybille Meilhaus (Isabella Dartmann) wie es im Theater bei „Lohengrin“ war.
(c) Iris Hamann

Nach Entwürfen, die der Architektur des Bayreuther Festspielhauses nachempfunden sind, entstand zwischen 1998 und 2000 durch Josephine Barbarino das „Musical Theater Neuschwanstein“, wie es zu Beginn noch hieß. Dort finden inzwischen, über das Jahr verteilt, wechselnde Veranstaltungen statt. In der Hauptsache jedoch das Musical „Ludwig II“, das mit jeder Wiederaufnahme etwas modifiziert, die Lebensgeschichte des Märchenkönigs erzählt. Vom kleinen Jungen bis hin zu seinem mysteriösen Tod im Alter von gerade einmal 40 Jahren können die Zuschauer das Leben „ihres Kini“ begleiten. Ein Leben, das einem Wechselspiel zwischen Psychotripp und Gefühlsachterbahn gleicht.

Ludovika (Stefanie Kock) möchte, nachdem Elisabeth (Nicole Ciroth) den Kaiser Franz-Josef geheiratet hat, ihre Tochter Sophie (Stefanie Gröning) mit Ludwig vermählt sehen.
(c) Iris Hamann

Dass man dies genau so auf die Bühne transportieren kann, ist nicht allein den Künstlern, die Abend für Abend die Wittelsbacher und ihren König auf eine großartige Art und Weise wieder zum Leben erwecken, zu verdanken, sondern auch Leuten wie Konstantin Wecker, Nic Raine und Christopher Franke, die die unglaublich schöne Musik zu diesem Musical geschrieben haben. Rolf Rettberg, der sich für Buch und Liedtexte verantwortlich zeigt, Dr. Konstantinos Kalogeropoulos, der die musikalische Leitung übernommen hat und ebenso Benjamin Sahler, welcher mit viel Feingefühl in der Regiearbeit für die Umsetzung des Ganzen sorgt.

Natürlich bietet das Festspielhaus auch die besten Voraussetzungen dafür. Das großzügige Foyer, mit Bar und diversen Sitzmöbeln oder auch das angeschlossene Restaurant, geben genügend Raum, den Abend entspannt starten oder auch ausklingen zu lassen. Hinter den Panoramafenstern befindet sich Deutschlands zweitgrößte Drehbühne und ein Wasserbecken, das 90000 Liter fasst und somit wohl einzigartig ist. Der halbmondförmige Zuschauersaal garantiert dem Publikum von nahezu überall beste Sicht. Die auf der Videowand eingespielten Bilder, die häufiger den Hintergrund der einzelnen Szenen bilden, sprechen eine deutliche Sprache und vermitteln den Eindruck von Weite und riesigen Räumen, die den Adelshäusern der damaligen Zeit eigen waren. Somit sind zahlreiche Requisiten entbehrlich ohne für das Stück nachteilig zu wirken.

Freiherr von Lutz (Alexander Kerbst) möchte könig Ludwig (Jan Ammann) im Beisein von Freund und Vertrauten Ludwigs, Graf Dürckheim (Felix Heller) zur Unterschrift in den Krieg einzutreten nötigen.
(c) Iris Hamann

An vielen Stellen spricht das Stück ohnehin für sich:
Großgezogen von Sybille Meilhaus (Isabella Dartmann), von der sich der kleine Ludwig (Ben Bickele) nicht nur Gesellschaft, sondern auch spannende Geschichten von ihren Opernbesuchen erhofft, wird er zum Spielball zwischen den verhärteten Fronten seiner sich streitenden Eltern Max von Bayern (Jens Rainer Kalkmann) und Marie von Preußen (Antonia Streitenberger). Ludwigs Jugend endet jäh mit dem unerwarteten Tod seines Vaters, in dessen Fußstapfen er plötzlich treten soll. Unterstützung in diesen schweren Zeiten, findet er in Cousine Elisabeth, Kaiserin Sisi von Österreich (Nicole Ciroth), mit der er von Kindesbeinen an befreundet ist. Getreu dem Motto: ein König braucht eine Frau, möchte Ludovika (Stefanie Kock), Sisis Mutter, ihn mit Elisabeths Schwester Sophie (Stefanie Gröning) verheiraten. Dieser Plan misslingt allerdings, denn Ludwig liegt es fern, eine Heirat in Erwägung zu ziehen; vielmehr widmet er sich lieber seinen Leidenschaften der Architektur, Kultur oder auch der Technik, der er gegenüber sehr aufgeschlossen ist.

Sichtlich reifer geworden, steht Ludwig (Jan Ammann) alsbald vor der Entscheidung gegen Frankreich in den Krieg zu ziehen. Eine Entscheidung, die er sich nicht leicht macht. Schlussendlich setzt ihn Freiherr von Lutz (Alexander Kerbst) so unter Druck, dass er zustimmt und somit seinen geistig zurückgebliebenen Bruder Otto (Julian Wejwar), der in seiner Scheinwelt nur mit seinen Zinnsoldaten kämpft, an die Front entlässt. Dank des Freundes und Vertrauten von Ludwig, Graf Dürckheim (Felix Heller), wird der auf dem Schlachtfeld verwundete Otto gerettet und versucht im Sanatorium von Dr. Gudden (Uwe Kröger) sein Kriegstrauma zu überwinden. Ludwig ist entsetzt über dessen Verfassung, als er ihn besucht und macht Dr. Gudden Vorwürfe, Otto nicht richtig zu behandeln. Nach diesem seelischen Schock flüchtet sich der König zurück in sein Schloss. Er sucht Ablenkung, begleitet den Baufortschritt von Schloss Neuschwanstein und lässt sich von einem Erfinder (Timo Pfeffer) die neuesten technischen Errungenschaften vorführen.

Im Gegensatz zu der gedanklich noch nicht ausgereiften Regenbogenmaschine die ihm vorgestellt wird, funktioniert das Telefon bereits. Der anscheinend immer in einer Art Parallelwelt lebende Ludwig macht zunächst einen zufriedenen Eindruck… bis ihn die Wirklichkeit einholt. Die Nachricht vom Tode seines geschätzten Freundes Wagner, die ihm durch Sybille Meilhaus überbracht wird, trägt nicht dazu bei, die Regierungsgeschäfte so zu führen, wie man es von ihm erwartet. Parallel dazu wird Dr. Gudden von der „feinen Gesellschaft“ erpresst. Entweder er sorgt für die Entmündigung Ludwigs oder aber die finanzielle Unterstützung seiner Klinik wird eingestellt. Rädelsführer dabei ist Kaspar (William Cohn) ein zwielichtiger Waffenhändler, der bei seinen Machenschaften Freiherr von Lutz (Alexander Kerbst) und Graf Rettenberg (Christian Schöne) mit ins Boot holt.

Die Intrigen von Freiherr von Kurz (Alexander Kerbst), Kaspar (William Cohn), Holnstein (Michael Thurner) und Graf Rettenberg (Christian Schöne) gegen König Ludwig (Jan Ammann) spitzen sich zu. Dr. Gudden (Uwe Kröger) wird erpresst den Widersachern Hilfestellung zu leisten.
(c) Iris Hamann

Dr. Gudden versucht nach wie vor im Hintergrund die Fäden zu ziehen, was ihm jedoch nicht wirklich gelingt. Abhängig vom Geld anderer, lässt er sich am Ende doch auf die Intrigen ein, die um Ludwig gesponnen werden. Ludwig wird entmündigt und auf Schloss Berg gebracht. Nach einem unerwarteten Sinneswandel, erklärt der Arzt Ludwig seine Loyalität und würde am liebsten alles ungeschehen machen. Die beiden begeben sich gemeinsam auf einen Abendspaziergang zum See, von dem sie nicht wiederkehren. Der Schattenmann (Dennis Henschel), der wie eine große, unheilbringende Wolke über dem gesamten Leben Ludwigs schwebt, scheint sein Werk vollendet zu haben…

Die Figur des König Ludwig bietet eine große Bandbreite der Schauspielkunst. Wechselnde Stimmungen, die auf dem schmalen Grat zwischen verträumt und verletzlich, Wut und Hilflosigkeit, aber gleichzeitig auch Ernsthaftigkeit, Trauer und Angst balancieren, lassen das Herz eines jeden Protagonisten, der diese Rolle spielen darf, höherschlagen. Sehr authentisch darin ist Musicalgröße Jan Ammann. Es ist wunderbar mit anzusehen, wie er diese Gefühlswelt interpretiert und das Publikum dabei mitnimmt. Gerade noch der König, der „mit den Zwergen übern See nach Schwangau“ telefoniert und dabei auch seine komödiantische Seite zeigen darf, verfällt er sogleich wieder in Schwermütigkeit, als er vom Tod seines Freundes Wagner erfährt. Dieses grandiose Schauspiel verbunden mit der warmen, ihre klassische Ausbildung nicht verleugnen könnende Stimme, die Jan Ammann zu eigen ist, lässt den Abend unbestritten zu einem Genuss für Augen und Ohren werden.

Graf Dürckheim, der eindrucksvoll von Felix Heller verkörpert wird, ist Freund und Berater zugleich. Er wirkt ein wenig wie der Fels in der Brandung und ist immer dann zur Stelle, wenn Ludwig wieder einmal ein wenig geerdet werden muss. Zum Ausdruck kommt dies insbesondere bei dem Lied „Freundschaft“, das die beiden zusammen performen. Felix Heller, der ebenfalls mit einer kräftigen, warmen Stimme punkten kann, wechselt sicher nicht umsonst ab und an die Seiten und schlüpft dann in die Rolle des Ludwig. Auch Christian Schöne kann man in diesem Jahr als Ludwig erleben. Zunächst ist er jedoch als Graf Rettenberg zu sehen, einer derjenigen, die mit aller Macht versuchen den König vom Thron zu stoßen. Dabei macht es nicht nur Freude ihm zuzuhören, sondern auch zuzusehen. Die kühle Aura, die ihn im ganzen Stück umgibt nimmt man ihm ganz und gar ab. Das Zusammenspiel mit Alexander Kerbst als Freiherr von Lutz, eine der Figuren, die sich noch nicht ganz entschieden haben auf welcher Seite sie wirklich stehen, passt perfekt. Gleichfalls William Cohn als Kaspar, der mit seinem Bass das Trio stimmlich hervorragend ergänzt.

Kaiserin Elisabeth (Nicole Ciroth) trifft sich mit König Ludwig (Jan Ammann) auf der Roseninsel – Rosen ohne Dornen
(c) Iris Hamann

Natürlich sollten auch Nicole Ciroth als Kaiserin Elisabeth und Isabella Dartmann als Sybille Meilhaus nicht unerwähnt bleiben, die beide eine sehr gute Arbeit abliefern. Dennis Henschel, als Schattenmann, kann mit „Schatten in des Königs Palästen“ stimmlich absolut überzeugen. Souverän und sicher bietet er den leider einzigen Song seiner Figur in dem Stück dar. Gerne hätte man mehr von ihm gehört. Der den Dr. Gudden darstellende Uwe Kröger, erbringt schauspielerisch eine durchweg gute Leistung. Gesanglich ist dort an mancher Stelle sicherlich noch etwas Luft nach oben, was bei der Gesamtleistung jedoch nicht wirklich ins Gewicht fällt. Julian Wejwar als Prinz Otto hat neben dem Bruder Ludwigs zusätzlich auch noch die Position des Co-Regisseur und Co-Choreograph inne. Er schafft es offenbar mühelos, alles unter einen Hut zu bringen. Seine Darstellung des geistig Zurückgebliebenen ist eine wahre Meisterleistung, die die Zuschauer ihm mühelos abnehmen.

Viele Details sind in dem Stück geschickt gelöst, die man ohne große Worte verstehen kann. So zum Beispiel die Darstellung des Erwachsenwerdens Ludwigs. Erst gemeinsam in einem Boot auf dem See treibend, trennen sich der kleine Prinz Ludwig und der erwachsene von einander und gehen jeder seiner Wege, allerdings ohne sich jemals ganz aus den Augen zu verlieren. Auch an anderen Stellen im Stück ist Prinz Ludwig immer wieder zu sehen. Er ist Berater im Geiste und schlechtes Gewissen von Ludwig zugleich.

Prinz Ludwig (links Jan Ammann) verabschiedet sich von seiner Kindheit, dem kleinen Ludwig (rechts Ben Bickele)
(c) Iris Hamann

Alles in allem ein Musical, dass durchaus Tiefgang hat, betrachtet man die vielen kleinen Details, die darin verarbeitet wurden. Die Story ist auch ohne Vorkenntnisse über das Leben des Königs nachvollziehbar. Die Feinheiten am Rande bekommen jedoch eine noch intensivere Bedeutung, wenn man sich einmal mit dem interessanten Leben und Wirken Ludwigs II beschäftigt hat. Mit dem fantastischen Cast in jedem Fall sehenswert.

Tickets gibt es im Ticket-Shop in der Fußgängerzone, Reichenstrasse 32 in Füssen, an der Abendkasse oder online unter www.das-festspielhaus.de