Wenn die Po-Ebene Italiens plötzlich im Tecklenburger Land liegt, kann der einzige Grund dafür sein, dass Europa einmal mehr bei den Freilichtspielen Tecklenburg zu Gast ist. Wurden die Zuschauer im letzten Jahr mit „Les Misérables“ nach Frankreich entführt, reisen sie in diesem mit „Don Camillo & Peppone“ nach Italien.
Dass die Freilichtspiele gerne einmal einen Seitenblick auf die Musicalszene im Nachbarland Österreich werfen, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Einige Rechte der Produktionen, die in den letzten Spielzeiten dort gezeigt wurden, liegen nicht nur bei den Vereinigten Bühnen Wien, sondern hatten dort sogar ihre Uraufführungen. „Don Camillo & Peppone“, das Stück das einmal mehr aus der Feder von Michael Kunze (Buch und Text) stammt, feierte 2016 zunächst im Theater St. Gallen seine Welturaufführung. Dario Farina, der sich für die Musik verantwortlich zeigt, ist normalerweise gar nicht unbedingt im Musical zu Hause, sondern komponierte sehr erfolgreich genauso Songs für italienische und deutsche Pop- und Schlagersänger, wie er sich auch in der Filmmusikbranche einen Namen machte. Mit „Don Camillo & Peppone“ wandelt er ein wenig abseits seiner ausgetretenen Pfade. Doch der Erfolg gibt ihm Recht.
Aus dem Theater St. Gallen, mit dem die Wiener Bühnen schon seit längerem eine Kooperation pflegen, fand das Musical dann seinen Weg in das Wiener Ronacher Theater, wo es 2017 in Österreich uraufgeführt wurde. Im Jahr 2019 sollte nun auch das deutsche Publikum in den Genuss der Uraufführung kommen. Mit Neugier und Spannung wurde das Stück erwartet, denn wer kennt sie nicht, die beiden liebenswerten Dickschädel, die lieber mit der Faust als mit Worten auf einander losgehen.
Die auf den Romanen von Giovannino Guareschi und den Verfilmungen mit Fernandel und Gino Cervi basierende Geschichte rund um die beiden Streithähne und Sturköpfe, Landpfarrer Don Camillo und dem kommunistischen Bürgermeister Peppone, wurde unter der Regie von Andreas Gergen eindrucksvoll in Szene gesetzt. Wie auch schon in der Wiener Fassung, schaffte Gergen es, die Persönlichkeiten der einzelnen Figuren detailliert herauszustellen. Der permanente Kleinkrieg, der zwischen Don Camillo und Peppone herrscht, entlädt sich des Öfteren mit viel südländischem Temperament. Derbe Schelmenstreiche, bei denen keiner dem anderen etwas zu schenken scheint, wechseln sich zwischen Bürgermeister und Pfarrer ab. Doch auch menschliche Schwächen und liebenswerte Seiten, kommen zum Ausdruck. Wenn auf der großzügigen Bühne zwischen Don Camillo und Peppone die verbalen Fetzen und manchmal auch beinahe die Fäuste fliegen, bleibt beim Zuschauer kein Auge trocken. Unterstützt von Wortwitz und eindrucksvoller Mimik, merkt man schnell, dass die augenscheinlichen Gegner eigentlich ein ähnliches, wenn nicht sogar das gleiche Ziel verfolgen. Der eine mit göttlichem Rat, der andere mit politisch großem Mundwerk.
Das Bühnenbild von Jens Janke schafft es, mit verhältnismäßig wenig Mitteln Boscaccio nach Tecklenburg zu zaubern. Das Bürgermeisteramt, das Schulhaus und an der Seite der „marode“ Kirchturm sind als Kulisse völlig ausreichend. Requisiten, die wie selbstverständlich von den Protagonisten mitgebracht oder auch wieder mitgenommen werden, verdeutlichen die Szenen noch einmal. Sahnehäubchen des Ganzen ist der gleich zu Anfang auf die Bühne fahrende, himmelblaue Kleinwagen italienischer Bauart, der die Erzählerin, die alte Gina (Barbara Tartaglia), auf die Piazza des kleinen italienischen Dorfes entlässt. Dort beginnt sie, begleitet von Jesus (Florian Albers), von ihrer Jugend zu berichten.
Als an diesem beschaulichen Ort der Kommunist Peppone (Patrick Stanke) zum neuen Bürgermeister gewählt wird, ist der dem Pfarrer Don Camillo (Thomas Borchert) aufgrund seiner Gesinnung gleich ein Dorn im Auge. Er sieht die Gefahr seine Herde, die ausnahmslos aus reichen Gutsbesitzern und konservativen Kirchengängern besteht, an das neue Dorfoberhaupt zu verlieren. Hinter Peppone hingegen stehen die armen Landarbeiter, die er wiederum ungern an die Gemeinde Don Camillos verlieren möchte. Das führt verständlicherweise zu Reibereien, nicht nur unter den beiden. Auch die Liebe macht vor diesen Klassenunterschieden nicht Halt. Gina (Milica Jovanovic), die Tochter des Grundbesitzers Filotti (Kevin Tarte), ist unsterblich in Mariolino (Dominik Hees), den Sohn des Landarbeiters Brusco (Jörg Neubauer), verliebt. Doch ihre Familien sind zutiefst verfeindet und tolerieren in keinster Weise die Liebe der beiden. Verständnis für ihre Lage findet Gina nur in Nonno (Sebastian Brandmeir), ihrem Großvater, den selbst Amors Pfeil getroffen hat. Beim Anblick der neuen kommunistischen Lehrerin Laura Castelli (Femke Soetenga) verschiebt der liebestolle Greis sogar mehrfach sein nahes Ableben. Das Blatt scheint sich erst zu wenden, als eine große Überschwemmung das Dorf bedroht und Don Camillo es mit einer List schafft, dass alle an einem Strang ziehen. Auch der drohende Selbstmord des jungen Liebespaares, der in letzter Sekunde verhindert werden kann, schweißt die Gemeinschaft eher ungewollt mehr zusammen. Durch die dann letztendlich doch stattfindende Heirat von Gina und Mariolino, glätten sich die Wogen. Zumindest für den Augenblick…
Bei der Besetzung hat das Team um Intendant Radulf Beuleke einmal mehr ein glückliches Händchen bewiesen. Das Zusammenspiel zwischen Thomas Borchert und Patrick Stanke darf schlichtweg als Meisterstück bezeichnet werden. Von Beginn an sind die beiden ein eingespieltes Team, das sich die verbalen Bälle nur so zuwirft. Man merkt, dass sie nicht zum ersten Mal in einer Produktion zusammen auf einer Bühne stehen. Thomas Borchert überrascht hier mit einer komödiantischen Seite, bei der den Zuschauern das Grinsen nicht mehr aus den Gesichtern weicht. Besonders die Zwiesprache zwischen Don Camillo und Jesus, dessen Stimme nicht wie in den Filmproduktionen aus dem Off ertönt, vielmehr als reale Figur einmal hier, einmal dort auf der Bühne erscheint, ist nicht nur außerordentlich gelungen, sondern von Florian Albers auch überzeugend dargeboten.
Patrick Stanke schafft gleichfalls den Spagat zwischen der Darstellung des ständig gereizten, aufsässigen Peppone und dem unsicheren und schon fast hilfesuchenden Menschen mit Schreib- und Leseschwäche, hin und her zu springen ohne dass eine der beiden Charaktereigenschaften auf der Strecke bleibt. Seine Wutausbrüche haben schon beinahe einen komischen Charakter, ohne dabei lächerlich zu wirken.
Ebenfalls wunderbar ist das Liebespaar, dargestellt von Milica Jovanovic und Dominik Hees, das ständig Gefahr läuft von ihren Eltern, die sich bis aufs Blut hassen, entdeckt zu werden. Da spielt es den beiden sicher in die Hand, dass sie auch im wahren Leben ein Liebespaar sind. Perfekter geht es also kaum. Aber Kevin Tarte als Ginas Vater Filotti und Jörg Neubauer als Mariolinos Vater Brusco schenken sich nichts wenn es darum geht, lautstark ihre Antipathien gegeneinander kund zu tun. Dies tun sie allerdings mit großem Können, welches die Zuschauer immer wieder durch Szenenapplaus honorieren.
Sebastian Brandmeir, der den Ehrenbürger Nonno, Ginas Großvater darstellt, hat nun schon zum wiederholten Male die Rolle eines Greises inne. Absolut überzeugend gibt er den alten Herrn auf der Bühne. Dabei ist er selbst nicht einmal halb so alt wie die Figur im Stück. Brandmeir durfte sein Können bereits mehrfach in den Produktionen von „Tanz der Vampire“ in St. Gallen, Wien, Köln und Berlin unter Beweis stellen, wo er den etwas verschrobenen Professor Abronsius darstellte. Genau wie nun in dieser Rolle, die er großartig ausfüllt, hatte er die Lacher und die Sympathien auf seiner Seite.
In diesem Stück ist es schwer, einen Darsteller oder eine Rolle besonders hervorzuheben. Das gesamte Stück ist einfach hochkarätig besetzt und macht einfach Spaß. Die Musik ist zwar nur bedingt ohrwurmtauglich, was jedoch bei der unterhaltsamen Story und dem großartigen Schauspiel der Darsteller nicht weiter ins Gewicht fällt. Auch, dass Regisseur Andreas Gergen beim Ensemble aus dem Vollen schöpfen konnte, tut dem Stück außerordentlich gut. Die Größe der Bühne wird damit nicht nur ausgenutzt, sondern so belebt, dass es dem Zuschauer schwer gelingt seinen Blick an nur eine Szene zu heften. Von solchen Produktionen wünscht man sich mehr. Gerne auch einmal in dem einen oder anderen Stadttheater, wenn auch das Ambiente der Tecklenburger Bühne nur schwer zu erreichen sein wird.