Was für ein Triumph! Welch ein Fest… mit diese ersten Zeilen eines Songs aus dem Erfolgsmusical Elisabeth könnte man versuchen, den Abend zu beschreiben. Doch dies würde nur einen Teil dessen wiedergeben, was dem Publikum vor den heimischen Bildschirmen geboten wird.
Ladies sing Gentlemen / Guys sing dolls ist das neueste Konzertformat von Andreas Luketa, dem kreativen Kopf von Sound of Music, mit dem er die Crème de la crème der Musicalszene am Ostersamstag in den Lokschuppen nach Bielefeld gelockt hat. Jan Ammann, Andreas Bieber, Maya Hakvoort, Mark Seibert, Kevin Tarte, Roberta Valentini, Milan van Waardenburg und Sabrina Weckerlin bereiten einen Abend der Extraklasse.
Das Konzept an sich ist wahrlich nicht neu, jedoch wurde es bisher selten in einer so hochkarätig besetzten Form umgesetzt. So starten die 8 Protagonisten – alle frisch negativ auf das Virus getestet, wie angemerkt wurde – dennoch mit ausreichendem Abstand auf der großen Bühne in das „Experiment“ gesanglich einmal in eine Rolle zu schlüpfen, mit der sie in einem Stück wahrscheinlich so nie auf die Bühne treten würden. Die Spannung wie es sich anfühlen würde steigt auf beiden Seiten. Gleich vorweg genommen sei gesagt, dass durch die völlig andere Art die Songs zu interpretieren die eine oder andere Überraschung zu Tage getreten ist und man sich fragen könnte, weshalb dieser Song überhaupt bisher von einer Frau oder umgekehrt von einem Mann gesungen wurde.
Musikalisch können die Sängerinnen und Sänger endlich wieder einmal aus dem Vollen schöpfen. So wundervoll puristische Begleitung nur mit Klavier oder Gitarre auch ist, so schön ist es auch, die Kraft einer ganzen Band zu spüren und die ist mit Marina Komissartchik (Keyboard 1), Rolf-Dieter Mayer (Bass), Matthias Plewka (Drums), Hannes Kühn (Guitars) und Sebastian Hartung (Keyboard 2) und dem musikalischen Leiter des Abends, Bernd Steixner, großartig besetzt. Trotz dem, dass aktuell die Möglichkeiten für regelmäßige Auftritte fehlen, ist keiner der Musiker aus der Übung. Im Gegenteil: Die gesamte Band vermittelt den Eindruck, noch mehr als 100% geben zu wollen. Sie holen jeden Einzelnen individuell an der Stelle ab, wo es gebraucht wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um Balladen oder Uptemposongs handelt. Sie passen sich gekonnt den Stimmungen der Songs an und tragen somit gemeinsam die Stimmen durch den Abend.
Nicht zu vergessen, ist selbstverständlich auch Matthias Vierjahn der die Stars an dem Abend nicht im Dunkeln stehen lässt, sondern sie ins rechte Licht rückt. Ebenso wie Markus Danne, der für den fantastischen Sound sorgt. Die Streamingtechnik liegt einmal mehr in den bewährten Händen von Florian Albers. Das Filmteam von Thomas Nitowski mit Petra Knepper, Yvonne Knepper und Jannic Hilla an den Kameras, dient als unverzichtbares Bindeglied zwischen den Herrschaften auf der Bühne und dem Publikum zu Hause vor den Bildschirmen. Einzig anzumerken wäre, der etwas unglücklich gewählte Bildausschnitt am Ende des Abends, der stellenweise den einen oder anderen am Rand positionierten aus der Sicht des Zuschauers verschwinden lässt. Gerade dies ist insofern schade, weil es der einzige Moment ist, wo alle gemeinsam auftreten.
Die Moderation übernehmen an diesem Abend, was man schon fast altbewährt nennen könnte, Andreas Bieber und Mark Seibert. Charmant und souverän kündigen sie sowohl die Kolleginnen und Kollegen, als auch sich selbst mit jeweils wenigen, jedoch gekonnt verbunden Hinweisen auf die kommenden Songs an. Die Aufteilung der Songs unter den einzelnen Darstellern ist relativ ausgewogen. Das Opening des Abends übernehmen dann auch gleich Roberta, Maya und Sabrina. Das Programm besticht dadurch, dass, obwohl es größtenteils aus Songs besteht, die immer wieder gerne präsentiert werden, dennoch komplett anders ist, als man es gewöhnt ist. Es versetzt stellenweise in Erstaunen, dass der sonst üblicherweise von einem männlichen Darsteller performten Song in der weiblichen Interpretation oder auch umgekehrt fast noch besser klingt.
Mit geballter Frauenpower und dem ersten Uptempo Song „Heut ist der Tag“ aus den „Die Drei Musketiere“ brechen sie sofort das imaginäre Eis. In den Farben der französischen Fahne gekleidet, geben sie gleich die Richtung an wohin die Reise in ihrem Song führt. Ein bißchen ist ihnen zu Beginn die Nervosität anzumerken, aber schnell bekommt der Zuschauer das Gefühl, dass die Freude, wieder auf der Bühne stehen zu dürfen wieder die Oberhand gewinnt. Dann geht es Schlag auf Schlag weiter mit Maya Hakvoort, die an diesem Abend zwischen Dr. Jeckyll und Mr. Hyde, Jesus und später, nochmals mit Unterstützung von Roberta, zum Glöckner von Notre Dame wechselt. Alle samt starke Persönlichkeiten, die ihr stimmlich einiges abverlangen. Andreas Bieber, dem selbstverständlich nicht nur die Moderation obliegt, zeigt einmal mehr wo seine besonderen Stärken liegen, nämlich in den Songs, die eine sehr abwechslungsreiche Geschichte erzählen und die er mimisch dermaßen hervorragend begleitet, dass man sich auch ohne Kulisse und Kostüme für einen kurzen Moment in das Stück versetzt fühlt. Es gäbe sicherlich noch viele weitere Songs, die man gerne von ihm gehört hätte.
Das Besondere an diesem Abend ist ebenfalls, dass sich alle auf ihnen doch etwas unbekanntem Terrain bewegen. Es kommt sicherlich selten vor, dass ein Darsteller das komplette Stück probt, sprich auch die Songs, die er oder sie gar nicht singen müssen. Darum ist es für jeden Einzelnen auch eine Herausforderung der konträren Rolle seinen persönlichen Stempel aufzudrücken.
Ein wenig aus der Reihe tanzt Jan Ammann mit seinen unbestritten, grandios dargebotenen Solosongs „You’ll never walk alone“ und „Lieben trotzdem“ an diesem Abend. Es wäre allerdings noch spannender gewesen, wenn auch er sich mehr an für ihn völlig unbekannten Liedern versucht hätte, was ihm ohne Zweifel problemlos gelungen wäre. Die Überraschung des Abends darf man Milan van Waardenburg bezeichnen. Im Gegensatz zu den etablierten Künstlern des Abends ist er noch dabei weitere Erfahrungen zu sammeln. Dass durchaus Potenial in ihm steckt, zeigt sein beeindruckendes Duett mit mit Jan Ammann. Die beiden harmonieren bei „Rebecca“ einfach perfekt. Großes Kino gab auch Roberta Valentini. Bei ihr hat man das Gefühl, sie könne einfach jeden Song singen. Stark in den Soli genauso, wie in bei Duetten oder Terzetten gemeinsam mit Sabrina Weckerlin und Maya Hakvoort. Besonders „Kalte Sterne“ aus Ludwig, dürfte einen erhöhten Schwierigkeitsgrad darstellen, zumal einer der „amtierenden“ Könige: Jan Ammann anwesend ist.
Eine ebenfalls sehr gelungene Songauswahl traf Mark Seibert. Hat man ihn im Stück Mozart als Colloredo eher aufbrausend und herrisch erleben können, schlägt er heute bei „Gold von den Sternen“ganz andere, sanftere Töne an, die ihm ebenfalls hervorragend stehen. Auch „I don’t know how to love him“ passt perfekt zu seinem weichen Tenor und schmeichelt den Ohren der Zuhörer und Zuschauer. Man könnte sich bei ihm durchaus vorstellen noch mehr dieser „vertauschten“ Songs ins Repertoire aufzunehmen.
In ganz große Fußstapfen tritt Sabrina Weckerlin mit „Die unstillbare Gier“. Mit ihrer ganz eigenen Interpretation leistet sie gute Arbeit, schafft es jedoch nicht ganz die drei anwesenden männlichen Krolocks auf ihre Plätze zu verweisen. Auf sicherem Boden hingegen bewegt sie sich mit „Ein Traum ohne Anfang und Ende“ der eigentlichen Rolle des Gerold aus „Die Päpstin“. Dieser Song steht ihr so gut, dass sie auch im Stück mit Leichtigkeit ihren männlichen Kollegen ersetzten könnte.
Eine Bereicherung des Abends darf man auch Kevin Tarte bezeichnen. Mit seiner klassischen Stimme vermisst man keine „Evita“ bei „Don’t cry for me Argentina“ auf der Bühne und trotz der kleinen, sympathischen Textstolperer bei „Einsames Gewand“ braucht er sich definitiv nicht „Hinter hohen Klostermauern“ zu verstecken.
Zum Abschluß des Konzertes versammeln sich zu „You will be found“ aus „Dear Even Hansen“ nochmals der gesamte Cast auf der Bühne um gemeinsam den Abend zu schließen. Leider vergeht, wie bei allen solch großartigen Shows, die Zeit wie im Fluge und viel zu schnell sind alle Lieder gesungen und der Abend schon wieder vorbei.
Fazit: Der gesamte Abend in dieser Form schreit förmlich danach, einmal live vor Publikum gespielt zu werden. Denn das ist das Einzige was an diesem perfekten Abend fehlt: Der wohlverdiente Applaus, die Interaktion und das Knistern zwischen Darstellen und dem Publikum… all das was so ein Konzert außer phantastischer Musik ausmacht. Vermutlich würden die Emotionen auf beiden Seiten noch mehr hochkochen und es an mehr als einer Stelle des Abends hochverdiente Standing Ovations geben. Doch auch so hat sich sicherlich der oder die eine oder andere dabei erwischt zum Ende des Konzertes zu applaudieren, auch wenn es nur in den heimischen 4 Wänden ist…