„Willkommen, Bienvenue, Welcome“ – Cabaret kehrt ans Staatstheater Darmstadt zurück

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Der Conferencier und die Kit-Kat-Girls und -Boys © Candy Welz

Ein wahrer Klassiker feierte am 11. November Wiederaufnahme am Staatstheater Darmstadt: Cabaret! Die Inszenierung von Nicole Claudia Weber feierte bereits Anfang des Jahres in der letzten Spielzeit Premiere. Ob das Stück noch immer das Publikum begeistern kann und ob einige Schwächen seit der Premiere der Vergangenheit angehören, erfahrt ihr wie immer hier bei uns.

Das Musical Cabaret, von John Kander und Fred Ebb, wurde bereits 1966 in New York uraufgeführt, mit Liza Minelli von Bob Fosse unvergesslich verfilmt und Ende der 90er am Broadway erneut aufgeführt. Seitdem ist das Musical aus den Theatern dieser Welt kaum noch wegzudenken und ist ein häufig gespieltes Stück gerade hier in Deutschland, wo die Handlung ja auch spielt. Dennoch zeigt das Staatstheater Darmstadt nicht die “neue” Fassung, die mit kleinem Orchester und regelrechter Nachtclubstimmung besticht, sondern zeigt bewusst die große Orchesterfassung im Stile der Uraufführung. Wir haben ja bereits zwei Mal in diesem Jahr “Cabaret” gesehen (wir berichteten hier  und hier ). Und dennoch unterscheidet sich diese Inszenierung wieder von Grund auf von den anderen gesehenen Inszenierungen.

Das Staatstheater Darmstadt hat sich bei seiner Umsetzung ganz klar an etwas Großes gewagt. Ein großes Bühnenbild, ein großes Orchester, ein großes Ensemble. Alles scheint in diesem Stück groß zu sein.

Und dennoch ist – nach nun 50 Jahren seit der Uraufführung – das Stück heute aktueller denn je. Das Musical spielt im Berlin Anfang der 30er Jahre. Der junge englische Schriftsteller Clifford Bradshaw befindet sich auf der Suche nach Inspiration für einen Roman und landet so eines Tages in Berlin. Dort schließt er Bekanntschaft mit Ernst Ludwig, für den er unfreiwillig etwas schmuggelt und von ihm an die Pension von Fräulein Schneider verwiesen wird. Dort quartiert er sich ein, gerät im Kit Kat Club an seinen Liebhaber Otto und an die berühmte Sally Bowles. Die zieht auch prompt bei Cliff ein. Cliff muss sich nun zwischen seinen wahren Neigungen zu Otto und dem Leben mit Sally entscheiden. Als Sally bald schwanger ist, überschlagen sich die Ereignisse. Fräulein Schneider verlobt sich mit dem Obsthändler Herr Schulz und Sally träumt davon wieder im Kit Kat Club aufzutreten. Auf der Verlobungsfeier von Fräulein Schneider und Herrn Schulz kippt die Stimmung, als der Nationalsozialist Ernst Ludwig herausfindet, dass Herr Schulz ein Jude ist. Alarmiert von den Ereignissen, will Clifford Berlin verlassen und Sally mit sich nehmen. Doch Sally hat andere Pläne, sie lässt das Kind abtreiben und tritt wieder im Kit Kat Club auf.

Wie ein dunkles Schattenspiel erscheint die Umsetzung hier. Die schwarze Wandvertäfelung des Zuschauerraums zieht sich wie ein starrer Vorhang über die ganze Breite der Bühne. Kaum, dass sich dieser hebt, steht zunächst nur der Conferencier allein im Scheinwerferlicht auf der Bühne und beginnt zu singen. Aus weiter Ferne rollt die eigentliche Bühne, eine vierseitige Würfelkonstruktion mit den leuchtenden Frakturlettern “Willkommen” heran. Hier wurde die große Räumlichkeit der Bühne wirklich hervorragend ausgenutzt.

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Herr Schulz und Fräulein Schneider, dahinter das große „Willkommen“ © Candy Welz

“Willkommen” ist ohnehin ein Wort, dass seit der Flüchtlingskrise ein wenig an Bedeutung eingebüßt hat und hier wie bissige Ironie wirkt. Stück für Stück erwacht das Dunkel der Bühne zum Leben, bis die Würfelkonstruktion herangerollt ist. Szenenwechsel finden auch in der Wiederaufnahme ausschließlich durch die sich drehende Bühnenkonstruktion statt. Diese dreht sich zuweilen – gut zu beobachten bei “Heirat” – quälend langsam und nimmt dem Stück dabei einen wirklich wichtigen Teil seiner Energie und Bedrohlichkeit. Und leider fehlt noch immer der Song “Mein Herr”, der jedoch hier durch den “Telefon-Tanz” der Uraufführung ersetzt wurde, was wirklich schön anzusehen ist. Neben den Hauptdarstellern treten noch unzählige Sänger des Opernchores als Ensemble auf. Das ist zum einen beeindruckend, weil damit eine ganz andere Stimmung auf der Bühne herrscht, lenkt aber sehr von den Darstellern ab, die gerade im Fokus sein sollten. Dies ist zum Beispiel bei der Verlobungsfeier von Herr Schulz und Fräulein Schneider der Fall. Dort ist so viel auf der Bühne los, dass man sehr schnell Sally und Cliff aus den Augen verliert, die dort auch Gäste sein sollen.

Schauspielerisch gelingt es allen Darstellern trotzdem, die Stimmung des aufkeimenden Nazi-Deutschlands einzufangen. In der Wiederaufnahme zu sehen, ist auch Dominik Hees, der in “Evita” das Publikum als Che begeistert, hier jedoch erschreckend wenig zu singen hat. Sally Bowles wird von Katharina Schutza dargestellt, die es zwar schafft, die Persönlichkeit von Sally Bowles mit einem herrlich wechselhaften Gemüt darzustellen, jedoch gesanglich nicht immer zu überzeugen weiß. Während sie bei “Mama (Don’t tell Mama)” eine wahre Glanzleistung abgibt, fehlt ihr bei “Vielleicht diesmal (Maybe this time)” ein wenig die Tiefe. Rührend anzusehen, sind Annette Luig als Fräulein Schneider und Moritz Gogg als Herr Schulz. Ein wenig in den Hintergrund spielen lässt sich leider Marianne Curn als Fräulein Kost, die aus der Rolle nicht die ganze Dramatik und den ganzen Humor auszuschöpfen scheint, jedoch mit einer hervorragend klaren Gesangsstimme überzeugen kann. Die Darstellung von Gunnar Frietsch als Conferencier ist allerdings eine Freude vom ersten Takt an. Bei angenehmem Gesang schafft er es gleichermaßen Furcht und Sympathie für seine Rolle empfinden zu lassen.

Unter der musikalischen Leitung von Michael Nündel holt allerdings das Orchester alles aus sich heraus, was es herausholen kann. Stellenweise passt dieser großartige Orchesterklang – gepaart mit den klassischen und hervorragenden Stimmen des Chores – nicht optimal zur dargestellten Szenerie eines kleinen Nachtclubs. Die Kostüme von Friedrich Eggert hingegen treffen den Nagel auf den Kopf und schaffen den Spagat zwischen 30er-Charme und Glamour.

Am Ende rollt die Bühnenkonstruktion wieder nach hinten, es wird finster auf der Bühne und effektvoll gerät das große “Willkommen” in Schieflage. Das Publikum dankt es dem Ensemble und allen Beteiligten mit langem Applaus. Eine gelungene Inszenierung, die trotz kleiner Abstriche zu überzeugen weiß, feierte also seine Wiederaufnahme in Darmstadt.

Das Stück ist voraussichtlich noch bis zum 29.01.2017 in Darmstadt zu erleben. Karten uns Infos sind hier zu finden.