Als am 28. Juli 2018 im Theater Baden die österreichische Erstaufführung des Wildhorn-Musicals Bonnie und Clyde stattfindet, geht es nicht nur auf der Bühne heiß her. Die hochsommerlichen Temperaturen lassen sowohl bei den Zuschauern als auch bei den Darstellern das Gefühl einer Gemeinschaftssauna aufkommen. Der Qualität der Aufführung schadet dies jedoch keinesfalls, wie die verdienten Standing Ovations am Ende beweisen.
Das inmitten des schönen Kurortes Baden gelegene Theater kann bereits auf eine lange Tradition zurückblicken. Bis heute werden dort neben Opern, Operetten, Schauspielen und Konzerten auch Musicals dargeboten. Eingebettet in die, in den 1970er Jahren entstandene Fußgängerzone, stellt das 1909 wieder eröffnete Theater durchaus einen Blickfang dar. Der Jugendstil setzt sich auch im Inneren des Gebäudes fort. Anlässlich der 500-Jahr-Feier der Stadt wurde der Saal, der sich mit ca. 800 Sitzplätzen über 3 Ebenen erstreckt, wieder in den alten Zustand versetzt und erhielt damit den Charme, den er bei seiner ursprünglichen Erbauung erhalten hatte, zurück.
Nicht ganz so weit zurückblicken muss man, wenn man sich die Zeit vornimmt, in der das Musical spielt. Im Amerika der 30er Jahre wachsen Bonnie und Clyde auf. Er – in Armut mit Bruder Marvin, genannt Buck und seinen Eltern, die trotz widriger Umstände wie Arbeitslosigkeit, versuchen die Familie über Wasser zu halten; Sie – gleichfalls nicht vom Glück verfolgt, bei ihrer Mutter lebend, der es nicht viel anders ergeht. Beide hält es jedoch nicht davon ab von einer besseren Zeit zu träumen. Bonnie, die als Sängerin einst auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen möchte, Clyde, der sich als Nachfolger Al Capones und Billy the Kid sieht. Herangewachsen versucht sich Bonnie mit einem Job als Kellnerin durchzuschlagen. Clyde sitzt zum wiederholten Male eine Gefängnisstrafe wegen verschiedener Diebstähle zusammen mit seinem Bruder ab. Als beide gemeinsam aus dem Gefängnis fliehen, kehrt Buck zu seiner Frau zurück, die ihn, unterstützt durch ihren starken Glauben, versucht auf den rechten Weg zurück zu führen. Clyde, dem jeglicher Halt in dieser Richtung fehlt hingegen, begegnet Bonnie.
Es dauert nicht lange, da entwickeln sie Gefühle für einander – zum Missfallen derer die ihnen nahestehen. Bonnies Mutter wünscht sich keinen Gesetzesbrecher für ihre Tochter und versucht ihr Clyde auszureden. Ihrem ehemaligen Mitschüler Ted, ist Clyde ebenfalls ein Dorn im Auge; setzt er alles in Bewegung, nur um ihr zu gefallen. Genau wie Blanche, Clydes Schwägerin, die in ihm die Gefahr sieht, dass er seinen Bruder noch weiter mit in den Abgrund reißt. Bucks Gefühle hingegen sind zwiegespalten. Seiner Frau zu Liebe verspricht er von nun an ein besserer Mensch zu werden und keine Gesetze mehr zu brechen. Gleichzeitig jedoch sieht er aber nur eine Chance für ein besseres Leben darin, indem er mit seinem Bruder gemeinsame Sache macht. Dennoch gibt er dem Wunsch Blanches nach und stellt sich der Polizei. Clyde hingegen wird erneut auf der Flucht verhaftet und während Buck bei einer gemeinsamen Gerichtsverhandlung auf freien Fuß gesetzt wird, wandert Clyde erneut für viele Jahre ins Gefängnis. Geprügelt, gedemütigt und von einem Mitgefangenen missbraucht, begeht er noch in Haft, aus Verzweiflung, seinen ersten Mord.
Mit Hilfe von Bonnie, die ihm auch in dieser Situation zur Seite steht, gelingt Clyde erneut die Flucht. Aus den anfänglichen Diebstählen sind inzwischen Überfälle geworden und der nächste Mord geschieht. Clyde erschießt, wiederum aus Notwehr wie er sich selbst einzureden versucht, einen Deputy. Fassungslosigkeit darüber auf beiden Seiten veranlasst Bonnie ernsthaft Clyde ziehen zu lassen, da ihr kurz der Gedanke kommt, an einem Punkt angekommen zu sein, den sie mit ihrem Gewissen – sei der Wunsch nach Geld auch noch so groß – nicht mehr vereinbaren kann. Sie geht diesen Weg jedoch nicht zu Ende. Mit dem festen Willen sich nicht mehr erwischen zu lassen, ziehen die beiden fortan gemeinsam raubend durchs Land und erlangen damit eine andere Art der Berühmtheit. Wie im Rausch werden die Taten immer ausschweifender und schließlich erschießt Clyde bei einem weiteren Überfall die Kassiererin einer Bank, die ihn ihrerseits zuvor durch einen Schuss am Arm verletzt. Die Flucht beginnt erneut und wird nur noch durch die immer kürzer werdenden Augenblicke der Zweisamkeit unterbrochen. Inzwischen zu genug Geld gekommen, erholt sich Clyde von seiner Verletzung und nutzt die Zeit Bonnie ein selbst komponiertes Lied zu präsentieren. Er nimmt Kontakt zu Buck auf, der sich ihm erneut anschließt. Weitere Raubzüge folgen.
Sheriff Schmid (Thomas Smolej), der immer wieder auf’s Neue versucht der Bande Herr zu werden, bleibt erfolglos. Als er Clyde gegenüber steht und sich damit am Ziel seiner Arbeit glaubt, rührt sich in Clyde nur kurz das Gewissen, dann drückt er ab. Die Schlinge legt sich der Bande immer enger um den Hals, bis sie sich letztendlich ganz zuzieht und Buck nach einer Schießerei mit den Hütern des Gesetzes in den Armen seiner Frau an einer Schussverletzung stirbt.
Den Kontakt zu ihren Familien haben alle immer versucht aufrecht zu erhalten. Ein Umstand, der letztendlich zunächst Buck und später auch Bonnie und Clyde das Leben kostet. Selbstzweifel nagen an Clyde, ob das alles wirklich der richtige Weg ist. Dennoch kann er nicht aufhören, noch mehr Geld besitzen zu wollen und sich damit seine Träume zu erfüllen. Dabei sind diese ohne, dass es ihm bewusst wird, schon längst in den Hintergrund gerückt. Bald geht es nur noch darum, den nächsten Tag zu überleben und der Polizei weiterhin zu entfliehen. Immer an seiner Seite dabei: Bonnie. Sie genießt dieses Leben in vollen Zügen, hat sie doch ihr Ziel beinahe erreicht. Berühmtheit hat sie erlangt, wenn auch auf eine Weise, die sie anfangs so gar nicht angestrebt hatte. Schlussendlich ist es ihr sogar gleich, ob sie bei einem der Überfälle getötet wird oder nicht. Dies gibt sie durch den Song „Sterben ist nicht schlimm“ eindrucksvoll zu verstehen.
Leonard Prinsloo, Regisseur der Bühne Baden, setzt die Geschichte mit den durchweg mehr als passend besetzten Rollen gekonnt um. Es beginnt mit der Erschießung von Bonnie und Clyde in ihrem Wagen durch die Polizei. In einer Rückblende wird das Leben der beiden so lange vor den Augen des Zuschauers ausgerollt, bis sich am Ende der Kreis wieder schließt. Begleitet werden die Darsteller vom hauseigenen Orchester des Theaters unter der Leitung von Michael Zehetner, für das eigens die Musik durch Pavel Singer von einer Band in einer orchestrale Fassung umgeschrieben wurde. In diesem Fall sicher die richtige Entscheidung, auf ein ganzes Orchester zurückzugreifen. Die Musik von Frank Wildhorn an sich zeichnet sich durch viele unterschiedliche Stilelemente aus. Mal ist es Blues, mal Gospel und wieder ein anderes Mal bewegt es sich im fast Bereich Country.
Die Gratwanderung zwischen haltloser Romantik und brutalem Verbrechen, die der Charakter des Clyde beschreitet, gelingt Mark Seibert hervorragend. Einerseits der coole, harte Kerl, der für die Erfüllung seiner Träume buchstäblich über Leichen geht, andererseits sich gleichzeitig grenzenlose Vorwürfe machend und beinahe verzweifelt wünscht das alles wäre nicht wahr. Es gibt Momente in denen er selbst nicht begreift, was das Leben aus ihm gemacht hat. Dennoch birgt die Rolle auch unweigerlich komische Augenblicke, die zwischen der eigentlich tragischen Story ab und an durchblitzen und die das Publikum mit vorsichtigen Lachern quittiert. Dieses Wechselbad der Gefühle nimmt man ihm zu jeder Zeit ab. Dabei kann man fasziniert beobachten, in welch schnellem Wechsel er das umsetzt. Stimmlich gibt es absolut nichts auszusetzen. Bei Seibert sitzt jeder Ton. Mit Charme und seiner ausdrucksvollen Stimme trägt er den Zuschauer, gekonnt durch das gesamte Stück. Er hat gesanglich einiges zu tun in diesem Stück. Die Bandbreite der musikalischen Stilrichtungen ist groß. „Reisst die Hölle auf“ geht ihm scheinbar genauso mühelos über die Lippen wie die Ballade, die er nur für „seine Bonnie“ vorträgt.
Die Figur der Bonnie hingegen wirkt schon fast etwas oberflächlich. Sie möchte nur ihren Spaß haben, berühmt werden und scheut sich nicht einmal davor Autogramme bei einem Überfall zu geben. Inzwischen auch mit der Waffe geübt, begleitet sie Clyde längst bei seinem Tun und es ist ihr gleichgültig welchen Preis sie am Ende dafür zahlt. Fast könnte man annehmen, Clyde sei für sie, trotz bekennender Liebe, nur Mittel zum Zweck. Dorina Garuci gelingt aber genau dieses darzustellen. Ihre Bonnie hat bereits von Kindesbeinen an einen starken Willen und ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein. Sie läßt keinen Zweifel daran, dass sie ganau weiß was sie will und genau das auch bekommt. Garuci versteht es das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Ihre stellenweise rauchige Stimme ist immer für eine Überraschung gut und klingt bei den leisen Tönen ebenso angenehm wie bei den flotteren Nummern.
Gleichfalls eine hervorragende Leistung zeigt Reinwald Kranner als Clydes Bruder Buck. Mit seiner eindrucksvoll dargestellten Zerrissenheit zwischen der Liebe zu seiner Frau einerseits und die Bewunderung für seinen Bruder andererseits, lässt den Zuschauer zweifeln welche Seite von ihm wirklich die bessere ist. Es macht einfach Freude ihm zuzusehen. Gesanglich harmoniert er mit allen Kolleginnen und Kollegen hervorragend, besonders die Duette mit Mark Seibert sind ein Hörgenuss.
Michaela Christl, gibt der Darstellung von Bucks Frau Blanche eine ganz eigene Note. Die tiefgläubige Frau eines Verbrechers ist schon ein Widerspruch in sich. Genau das ist es jedoch, was ihr der Zuschauer ohne Schwierigkeiten abnimmt. Die kleinen Schmunzler zwischendurch, zu denen sie das Publikum animiert, sind wohl dosiert und lassen Blanche weder steif noch verbohrt wirken. Hinzu kommt, besonders bei ihren Soli, ihre klassisch eingefärbte Stimme zur Geltung. Treffend besetzt ist auch Carin Filipcic als Bonnies Mutter, Emma Parker. Sowohl schauspielerisch als auch gesanglich hätte die Rolle jedoch gerne größer sein dürfen. Ihre vielseitige Singstimme bewältigt die Tiefen genauso problemlos wie die Höhen und weckt das Verlangen ihr länger zu lauschen.
Eine auch nicht allzugroße, jedoch durchaus wichtige Rolle, fällt Thomas Smolej, Sheriff Schmid, zu. Er hat den Ehrgeiz Bonnie und Clyde zur Strecke zu bringen., was er unmissverständlich mit „Ich bin das Gesetz“ zu verstehen gibt. Doch die beiden sind ihm immer eine Nasenlänge voraus. Als der Sheriff Clyde letztendlich doch noch begegnet, bezahlt er dies mit seinem Leben. Smolej präsentiert dem Publikum einen jungen, dynamischen Sheriff, der nicht nur schauspielerisch, sondern auch gesanglich einiges zu bieten hat. Damit zeigt er dem begeisterten Badener Publikum, dass er nicht nur hinter, sondern auch auf der Bühne zu Hause ist.
Artur Ortens hat den Part der Schlüsselfigur des Ted Hinton inne. Er ist ständig bemüht, sich Bonnie vorsichtig zu nähern. Seine Liebe zu ihr gipfelt schließlich darin, dass er Clyde den Tod wünscht, gleichzeitig mit allen Mitteln versucht seine Kollegen davon zu überzeugen, so einzugreifen, dass zumindest Bonnie verschont wird. „Du hast was Besseres verdient“ bietet er eindringlich dar, wird jedoch von seiner Angebeteten nicht erhört. Vom Publikum hingegen schon. Seine Interpretation des Songs ist durchaus sehen und hörenswert.
Die vier Kinderdarsteller, die sich die Rollen Bonnie als Mädchen und Clyde als Junge teilen, fügen sich wunderbar in die Reihe der Profidarsteller ein. Insgesamt darf man mit Fug und Recht sagen, dass alle Darsteller großartiges leisten. Nicht umsonst konnte Bühne Baden bereits bei der Premiere mit einem ausverkauften Haus aufwarten. Dennoch wird die Begeisterung dahingehend ein wenig getrübt als dass das Orchester durchweg zu laut ist. Könnte man noch Anfangsschwierigkeiten bei der Premiere vermuten, setzt sich dieser Zustand leider auch in nachfolgenden Vorstellungen fort. Die Darstellerinnen und Darsteller, die schon im Gegensatz zu Opern oder Operettenproduktionen das Privileg genießen dürfen mit Mikrofon zu singen, haben trotz dessen zeitweise Mühe gegen das enthusiastisch aufspielende Orchester anzusingen. Da wäre an mancher Stelle sicher weniger mehr.
Das relativ einfache Bühnenbild wird geschickt mit Videoeinspielungen der Darsteller auf der Bühne und Fotos des echten Gangsterpärchens vermischt und verleihen dem Ganzen einen gewissen Grad an Authenzität. Die beiden Holzaufbauten rechts und links der Bühne, sowie der breite Mittelblock werden durch Drehungen und Verschiebungen einmal zum Gefängnis, einmal zum Geschäft, das überfallen wird und wieder ein anderes Mal durch das Hinzufügen von Requisiten in eine Tankstelle oder ein Wohnzimmer verwandelt. Das ständig wechselnde Bühnenbild macht die Produktion durchaus lebendig. Was aber dennoch ablenkt, sind die aufgrund dessen permanent durch die Szenen laufenden Bühnenmitarbeiter, die überdeutlich zu sehen sind.
Dennoch: ein absolut gelungenes Stück mit TOP-Besetzung, das sich lohnt anzuschauen. Ein paar letzte Vorstellungen gibt es noch und für die bereits zweite Zusatzvorstellung am 25.08.2018 gibt es noch ein paar Restkarten. Dort hat man dann die Chance sich selbst davon zu überzeugen, dass es durchaus etwas gibt, dass sich auf Bonnie reimt…