In der heutigen Zeit geht es mit vielen Dingen so. Sie tauchen auf, sind kurz aber kräftig an der Spitze und versinken dann in einem schier ewigen Schlaf. Ein paar Jahre später erinnert sich kaum noch jemand daran. So ergeht es Songs oder auch Sänger und Sängerinnen, die als One-Hit-Wonder ein Leben lang mit nur einem einzigen Song in Verbindung gebracht werden. Mit Musicals ist es nicht anders. Auch in diesem Genre gibt es schier unzählige kleine und aber auch große Produktionen, die kommen und gehen. Diejenigen, die sich jedoch einen der oberen Ränge erkämpft haben und von denen noch Jahrzehnte später gesprochen wird, sind nach wie vor dünn gesäht. Nicht so das Erfolgsmusical „West Side Story“…
Natürlich hofft jeder Autor oder Musiker beim Schreiben den großen Wurf zu landen, allerdings ist es nicht vorauszuplanen, dass sowohl Thema als auch Musik den Status erreichen beinahe zeitlos zu sein. Dies ist Stephen Sondheim (Gesangstexte), Arthur Laurents (Buch) und Leonard Bernstein (Musik) zweifellos gelungen. Bis zum heutigen Tage hat dieses großartige Musical nichts an seiner Aktualität verloren. Nicht allzu oft, jedoch immer einmal wieder wird es in verschiedenen Theatern und unterschiedlichen Inszenierungen aufgeführt und zieht noch immer ein großes Publikum in seinen Bann.
Nachdem die Produktion der West Side Story des Theaters Magdeburg 2018 in der Oper Dortmund gezeigt wurde, hat sie in einer Neuinszenierung 2019 unter der Regie von Erik Petersen nun den Weg in das Bonner Opernhaus gefunden. Die Oper Bonn hat sich inzwischen durchaus, obwohl es sich um ein Mehrspartenhaus handelt, in der Musicalszene einen Namen gemacht, so daß auch zahlreiche Fans dieses Genres immer häufiger dort anzutreffen sind. Die dortige Produktion unterscheidet sich von den zuletzt gezeigten allein dadurch, dass Petersen seine Geschichte nicht, wie sonst gern gezeigt, in den Hinterhöfen der West Side, sondern in einer U-Bahn-Station New Yorks in der heutigen Zeit spielen läßt.
Der Inhalt der Geschichte ist gleichermaßen alt wie aktuell. Zwei rivalisierende Gangs – die Jets und die Sharks. Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß oder wie in dieser Geschichte Amerikaner gegen Puertoricaner. Die einen – Amerikaner – kämpfen gegen einen imaginären Feind in ihrem Viertel, die anderen – Puerto Ricaner – um Anerkennung in einem für sie fremden Land. Tony (Jan Rekeszus), einst Anführer der Jets, wird von Riff (Lucas Baier) überredet noch einmal mit der Gang zuzsammenzukommen um bei einer Tanzveranstaltung die Machtverhältnisse zwischen ihnen und den Sharks endgültig zu klären. An diesem Abend lernen sich Maria (Marie Heeschen) die Schwester von Bernardo (Andreas Wolfram), Anführer der Sharks und Tony kennen und lieben. Doch diese Liebe steht unter keinem guten Stern. Die heimlichen Treffen werden von Anita Dorina Garuci), der Freundin Bernardos entdeckt. Bei dem Versuch unnötiges Blutvergießen zwischen den Gangs zu verhindern, gerät der von Tony vorgeschlagene Boxkampf außer Kontrolle und artet in eine Messerstecherei aus, bei der Riff von Bernardo tödlich verletzt wird und Tony daraufhin Bernardo im Affekt ersticht…
Dementsprechend ist auch das Bühnenbild gestaltet worden. Altbekanntes wie das Brautgeschäft oder der angedeutete Hinterhof, ebenso wie der Treffpunkt der jungen Leute finden sich genauso wieder wie Neuerungen, die frischen Wind in die Gestaltung bringen. Der Kiosk der für Doc (Josef Michael Linnek) und Tony (Jan Rekeszus) Treffpunkt und Arbeitsstelle zugleich ist, ersetzt die sonst gern dargestellte Tankstelle mit Werkstatt. Vorn und hinten durch die Szenerie gleitende U-Bahn-Wagons geben dem Gesamten eine gewisse Bildtiefe. Die Kulissen sind so geschickt mit einander verwoben, dass große Umbauten nicht vonnöten sind um von einer Szene in die andere zu wechseln. Das Bühnenbild wird durch die die farblich aufeinander abgestimmten Kostüme so wunderbar ergänzt, dass es den Zuschauern, auch bei den Tanzszenen in denen sich Sharks und Jets vermischen, ermöglicht, die Mitglieder der Gangs problemlos einander zuzuordnen. Das alles
völlig unaufdringlich, aber dennoch harmonisch und klar differenziert.
Das Stück lebt, außer von den unsterblichen Songs, ebenfalls von dem grandios in Szene gesetzten Tanzensemble. Scheinbar mühelos begleiten sie das gesamte Stück mit soviel Kraft und Lebensfreude, dass die Protagonisten ordentlich zu tun haben um mit ihnen Schritt zu halten. Erneut bestätigt sich an dieser Stelle, dass Regisseur Eric Petersen bei der Besetzung die richtige Wahl getroffen hat, denn nicht nur das Tanzensemble besticht durch sein großes Können, auch die Gesangssolisten liefern phantastisch ab. Allen voran Jan Rekeszus, der als Tony nicht nur darstellerisch überzeugt, sondern auch mit „Maria“ und „There’s no time for us“ die Herzen der Zuschauer berührt und vielleicht auch auf diese Art und Weise das eine oder andere zum schmelzen bringt.
Marie Heeschen (Maria) ist in Bonn sicher eher den Opernbesuchern bekannt. Dort bekleidete sie bereits einige Titelrollen aus dem Bereich der Klassik. Der kleine Ausflug der Sopranistin in die Musicalwelt lohnt jedoch definitiv für beide Seiten. Nicht allein, dass man ihr rein äußerlich problemlos die Puerto Ricanerin abnimmt, auch harmoniert ihr klarer und kräftiger Ausdruck in der Stimme perfekt mit der Jan Rekeszus‘.
Eine weitere Solistin dürfte Freunden des Stückes bereits von der Inszenierung der letzten Spielzeit aus der Oper Dortmund bekannt sein, wo sie schon einmal in die Rolle der Anita schlüpfte. Die vielseitige Dorina Garuci konnte sich bereits an der Seite von Mark Seibert in Bonnie und Clyde oder als Partnerin von Thomas Hohler und Enrico di Pieri in Wahnsinn – Dem Musical mit den Hits von Wolfgang Petry, einen Namen machen. Aber auch als Schwester des Anführers der Sharks, hier nun in der West Side Story, macht sie in allen Bereichen, sei es Schauspiel, Gesang oder Tanz eine gute Figur.
Musikalisch begleitet werden die Darsteller auf der Bühne einmal mehr von dem grandiosen Beethoven-Orchester unter der Leitung von Daniel Johannes Mayr, welches dafür sorgt, dass der Abend den Zuschauern nicht nur bildlich, sondern auch als exquisiter Hörgenuß in Erinnerung bleibt. Dieses Stück darf man durchaus als einen weiteren Meilenstein in der Reihe der Musicals am Opernhaus Bonn bezeichnen, zu dem man getrost allen Beteiligten gratulieren darf. Für diejenigen, die das Stück noch nicht oder immer wieder ansehen möchten. Bis Ende Juni 2020 wird es noch in Bonn gezeigt. Karten unter gibt es unter: www.theater-bonn.de