Die schwimmende Stadt im Meer – „Titanic“ besticht durch viel Feingefühl

Verzweiflung auf der Titanic © Bad Hersfelder Festspiele/ K. Lefebvre

Welches Musical könnte vermutlich besser in die historische Stiftsruine mit seinen ehemaligen Kirchenschiffen passen, als ein Musical über das größte Schiffsunglück des vergangenen Jahrhunderts? So oder so ähnlich mussten die Gedanken des Intendanten ausgesehen haben, als “Titanic – Das Musical” nach Bad Hersfeld geholt wurde. Und vorneweg: es war eine verdammt gute Idee.

Die Geschichte um das Unglück der Titanic ist seit mehr als einem Jahrhundert nun ein Thema, das die Menschheit beschäftigt und gerade die Frage nach der Schuld am Unglück ruft unzählige verschiedene Meinungen auf den Plan. Und im Gegensatz zum Film, mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio aus dem Jahr 1997, legt das Musical mehr Wert auf die realen Schicksale der tatsächlichen Passagiere und lassen etwaige Liebesgeschichten – die gewiss vorkommen, so ist es ja nicht – eher nebenbei geschehen. Auch das Musical feierte seine Uraufführung im Jahr 1997 und hat somit nichts mit dem Film zu tun. Das ist etwas, was man vorher wissen sollte, da gerade in der Pause die Verwirrung im Publikum immer wieder zu spüren war, wenn man Gesprächen gelauscht hat und immer wieder die Frage aufkam, wann denn Rose und Jack auftauchen und ob “das Lied von Celine Dion” noch vorkommt.

Aber genau da liegt vermutlich die Stärke dieses Stücks. Neben den wirklich beeindruckenden Kompositionen von Maury Yeston, die durch das 25-köpfige Orchester in Bad Hersfeld noch viel mehr Klang erhalten, ist es vor allem die Handlung, die sich auf viele verschiedene Einzelschicksale konzentriert, die den Besuch noch lange nachklingen lassen.

Und so zahlreich wie die Passagiere auf der Titanic – ob nun verunglückt oder als Überlende oder Überlebender – jeder ihr eigenes Schicksal hatten, ist es nicht verwunderlich, dass die Cast auch ausgesprochen groß ist und es schwer zu sagen ist, wer bei diesem Stück Hauptrolle und wer Nebenrolle ist. Ist es Captain Smith (Michael Flöth), der seinen Ruhestand für die Jungfernfahrt der Titanic ein wenig hinauszögerte und dies nun im doppelten Sinne seine letzte Fahrt sein sollte? Ist es der Heizer Fred Barrett (David Arnsperger), der bei seiner Rückkehr nach England seine Freundin heiraten wollte? Oder ist es vielleicht doch Konstrukteur Thomas Andrews (Alen Hodzovic), dem zum Schluss die ganzen Konstruktionsfehler viel zu spät bewusst wurden?

Stimmlich bewegen sich alle Darsteller auf höchstem Niveau und verleihen sowohl in den ruhigen, nachdenklichen Szenen als auch in den größer angelegten Ensemblenummern der Inszenierung einen ganz besonderen Glanz.

Die Titanic legt ab © Bad Hersfelder Festspiele/ K. Lefebvre

Der feingefühligen Inszenierung von Stefan Huber war vor allem auch das Bühnenbild von Okarina Peter sehr zuträglich. Bewegliche zweigeschossige Bühnenteile lassen sich auf der einen Seite universell innerhalb von wenigen Augenblicken zu den verschiedenen Räumen und Decks umfunktionieren und dienen am Ende sogar als kreative Lösung Rettungsboote anzudeuten. Auf der anderen Seite befinden sich etwa sechs Meter hohe Lettern, die zum Aufbruch der Titanic das Wort “TITANIC” bilden – einer der großen Gänsehautmomente des Abends. Und die Verzweiflung und die Dekadenz sind von der ersten bis zur letzten Sekunde zu spüren. Und auch wenn man als Zuschauer den Ausgang der Geschichte kennt, hofft man mit den Personen auf dem Schiff doch noch auf ein Wunder.

“Titanic” ist durchaus ein Musical, das auch von weiter hinten betrachtet noch eine enorme Kraft entfalten kann und man sich unbedingt in einer Abendvorstellung ansehen sollte. Gerade wenn der Abend über Bad Hersfeld hereingebrochen ist, wirken die Szenen einfach noch viel stärker und das nahende Unglück tut sein Übriges zur bedrohlichen Stimmung. Wer die Möglichkeit hat, sich das Stück anzusehen, sollte dies unbedingt noch tun. Das Stück lief in dieser Spielzeit noch bis 20. August, aber mit viel Glück kommt es zu einer kleinen Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit – das Stück hätte es allemal verdient.