Neue Musicals schießen derzeit wie Pilze aus dem feuchten Waldboden. Viele davon sind kleine oder gar Low-Budget Produktionen, da sich die Theater Großproduktionen vom Broadway oder aus London mit bekannten Darstellern gar nicht leisten können. Was zunächst als Manko erscheint, ist alles andere als das. Die Theaterlandschaft wäre um einige tolle Stücke ärmer, wenn es genau diese Idealisten, die versuchen auch ohne das große Geld im Rücken, dafür mit viel Herzblut und persönlichen Einsatz ihre kreativen Ideen umzusetzen, nicht gäbe.
Eines dieser Musicals feierte vor nicht allzu langer Zeit Premiere: Das Ruhrical – Radio Ruhrpott. Nun hat sich Castrop-Rauxel bisher als Musicalstadt Deutschlands noch keinen großen Namen gemacht, doch genau dort – in den Pott – gehört dieses neue Musical hin.
Überraschenderweise ist die Stadthalle in Castrop beinahe ausverkauft. Ein paar einzelne verwaiste Plätze lassen sich noch ausmachen, die jedoch nicht weiter ins Gewicht fallen. Der Saal, der mit einer vergangenen Optik der 70er Jahre daherkommt, erweist sich unerwartet als Klangwunder und lässt dahingehend kaum Wünsche offen. Die Abstufungen in jeder zweiten Reihe schränken selbst aus dem hinteren Teil des Zuschauerraumes das Sichtfenster kaum ein. Die Bühne ist verhältnismäßig passend zur Gesamtgröße des Saales und bietet genügend Platz zum Agieren. Für Radio Ruhrpott werden geschickterweise auch die beiden kleinen Seitenbühnen bespielt. Während die linke Seite den Radiosender „Radio Ruhrpott“ nebst Moderator (Tlako Mokgadi) beherbergt, wird auf der rechten Seite das Jugendzimmer der weiblichen Hauptfigur (Romi Maria Goelich) dargestellt. Der Bühnenhintergrund besteht aus einem überdimensionalem Radio der spätfünfziger Jahre, das anstelle des damals üblichen Lautsprechers mit Stoffbezug im Frontbereich, die 5-köpfige Band unter der Leitung von Michael Meier beherbergt.
Durchweg eingebettet in Gassenhauer quer durch die Jahrzehnte, deren Sänger oder Songwriter alle im „Pott“ zu Hause sind oder irgendeine Beziehung zu diesem besonderen Ort haben, erzählt das „Ruhrical“ die Geschichte zweier junger Menschen, die sich kennen- und lieben lernen. Namentlich Peter Richards, genannt Richie (Markus Psotta), der ‚auf’m Pütt‘ der Zeche Erin arbeitet und Petra von Bodelschwingh (Romi Maria Goelich), Tochter seines Vorgesetzten, Reviersteiger Ernst von Bodelschwingh (Frank Bahrenberg).
Doch genau bei von Bodelschwingh ist Richards nicht gern gesehen. Unabhängig davon, dass Richie – ganz Ruhrpott – kein Blatt vor den Mund nimmt, besonders wenn es um die Arbeitssicherheit geht, bei der es der Reviersteiger angeblich nicht so genau nimmt, gefällt es ihm in keinster Weise, dass ausgerechnet der junge Mitarbeiter ein Auge auf seine Tochter geworfen hat. Neben Treffen im Kleingartenverein bei augenscheinlicher Schrebergarten-Idylle und den Kumpels ‚auf Schicht‘ unter Tage, geht Ritchie noch seiner eigentlichen großen Leidenschaft nach: der Musik. Er träumt von einer Karriere als Musiker. Als er Petra seinen selbst komponierten Song vorspielt, nimmt sie die Sache in die Hand und sorgt dafür, dass Moderator Sam Maldock (Tlako Mokgadi) – dessen Name sicherlich nicht nur rein zufällig Ähnlichkeit mit dem des bekannten Radiomoderators der 80er Jahre, Mel Sondock, aufweist – diesen im Radio zu spielen… Selbstverständlich löst sich am Ende der Knoten zum Guten und beschert der Story ihr erhofftes Happy End. Wirklich neu ist der Inhalt der Geschichte nun nicht. Es gibt sie in gefühlt tausend Varianten und dennoch passt sie wunderbar in dieses Ruhrical und wirkt, obwohl vorhersehbar, keinesfalls langweilig.
In Markus Psotta, der in diesem Stück den Richie mimt, hat man eine ideale Besetzung gefunden. Der Bottroper ist seit Kindesbeinen an auf diversen Musical-Bühnen zu Hause. Bereits in der damals gefeierten Inszenierung von Les Misérables in Duisburg war der damals 11-jährige als kleiner Gavroche zu sehen. Es folgten Rollen im kleinen Horrorladen, bei Hair oder in Jesus Christ Superstar. Als Richie spielt er genau das was er ist. Einen Jungen aus dem Pott – ausgestattet mit viel Idealismus, einem harten Berufsleben, Träumen und dem Wunsch das Herz von Petra zu gewinnen.
Romi Maria Goehlich (Petra) und Markus Psotta (Richie) geben ein schönes Paar ab, das sich schauspielerisch und stimmlich wunderbar ergänzt. Songs quer durch die Radiosendungen der Jahrzehnte scheinen wie für sie gemacht zu sein. Den Spaß, den die beiden augenscheinlich beim Singen haben, transportieren sie problemlos ins Publikum.
Schließlich kann Goelich ebenfalls schon auf einige Erfahrung vor allem im Bereich Film- und Fernsehen zurückgreifen. Ob Tatort, Wilsberg, Schimanski, Alarm für Cobra 11 oder Rosamunde Pilcher, sie war schon in einigen Produktionen zu sehen. Doch auch auf nordrheinwestfälischen Bühnen hat die 29-jährige schon gestanden. Dort spielte sie in Aachen und Köln.
Nicht unerwähnt lassen, sollte man auch Marc Stahlberg, der unter anderem mit seinem Einstiegssong „Bochum“ der Stimme des „echten“ Herbert Grönemeyer unglaublich nahe kommt und somit gleich zu Beginn die Stimmung im Publikum anheizt. Dass er sich sichtlich auf dieser Bühne wohlfühlt ist kein Wunder, denn auch für den Frontman der Band „Seven Cent“ ist Castrop-Rauxel ein Heimspiel.
Die Macher haben in diesem Fall bewusst Wert darauf gelegt, dass nicht nur die Musik dort her kommt, sondern auch die Darsteller einen Bezug zum „Pott“ haben. Ein Umstand, der das Stück noch einmal authentischer wirken lässt, was auch durchweg im Publikum zu spüren ist. Dies ist vermutlich auch der Grund dafür, dass die Zuschauer überhaupt kein Problem damit haben, sofort mit in die Partylaune einzusteigen. Schließlich folgt ein Hit dem anderen. Dabei ist das Programm so bunt wie ein Regenbogen und bietet von „Der Mond von Wanne-Eickel“ über „If you believe“ und „Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz“ bis hin zu „Wir sind das Ruhrgebiet“ alles was die Hitparaden im Radio rauf und runter gelaufen ist und auch an diesem Abend kaum jemanden still sitzen lässt.
Alles in allem ist „Radio Ruhrpott“ wieder einmal ein gutes Beispiel dafür, über den Tellerrand herauszuschauen und nicht nur die großen Produktionen zu präferieren, sondern auch einmal einen Blick auf den Spielplan des „Theaters um die Ecke“ zu werfen. Die nächste Vorstellung im Theater-Forum Stadthalle in Castrop-Rauxel findet am 12. Juli 2019 statt. Für diese und weitere gibt es noch Tickets!