Luther – Rebell wider Willen

Matthias Jahrmärker (c) Volker Beinhorn

Wir schreiben das Jahr 1483…oder vielleicht doch 1484? Auch wenn nicht ganz klar ist, in welchem Jahr Reformator Martin Luther (Matthias Jahrmärker) das Licht der Welt erblickte. Luther hieß er damals jedoch mitnichten. Sein Vater, ein einfacher Bergmann, hieß noch Luder (Christoph Sommer). Die Erinnerungen des Bergbaus prägten Luther von frühester Kindheit an und so ist es kein Wunder, dass die Eröffnungsszene von „Luther – Rebell wider Willen“ eben dies beleuchtet. Das schwierige Verhältnis zu seinem Vater und Martin Luthers Aufbruch zum Jura Studium in Erfurt sind es, die das Publikum auf der Bühne sieht, als sich in der Christus- und Garnisonskirche in Wilhelmshaven der Vorhang hebt.

Lucas Cranach (Ben Knop), Maler und Wegbegleiter von Luther, erzählt dem Publikum die Geschichte vom Leben und Sterben des Dr. Martin Luther, während er seine Bilder malt. Im Juli 1505 jedoch wird Luther beinahe vom Blitz getroffen, der Teufel (Bas Timmers), welcher Luther sein ganzes Leben lang verfolgt, hat hier sicher seine Finger im Spiel. Dem jungen Luther erscheint (auf der Empore der Kirche) die Heilige Anna (Kristina Neuwert). Er versprach ihr, sollte er das Unwetter überleben, würde er sein Leben in den Dienst der Kirche stellen und Mönch werden. Luthers Vater, von dieser Entscheidung wenig begeistert, tobt als sein Sohn wenig später in einen Erfurter Orden eintritt und Mönch wird. Hier fällt Luther in den darauffolgenden Jahren vor allen durch seine obsessiver Beichtpraxis („Mach nicht aus jedem Furz ne Sünde!“) und das hadern mit sich selbst auf. Beichtvater Johannes von Staupitz (Emanuel Jessel) ist es schließlich, der Luther den rechten Weg leitet, indem er ihn nach Wittenberg entsendet, wo Luther Predigen und an der Universität Theologie lehren soll. Aber dieser Weg nah Wittenberg, wo die Bibel zu Luthers täglichem Begleiter wird, ruft in ihm Zweifel hervor. Das inzwischen materialistische System der Katholischen Kirche mit dem blühenden Ablasshandel weckt den Widerstand. Als Johannes Tetzel (Bas Timmers) nach Wittenberg kommt, um Ablassbriefe zur Vergebung der Sünden zu verkaufen, setzt Luther zum Kampf gegen die Übermächtigen Kirchenfürsten in Rom an. So wird er schnell zum Gejagten. Bei seinem Widerstand, lernt er den Schriftgießer Stephan (Johannes Nepomuk) kennen. Dieser will Luthers Pamphlet drucken, aber nur, wenn dieser es kurz und bündig zusammenfasst. 95 Thesen – so können diese auf einem Blatt und an die Menschen verteilt werden. Auch wenn die Widerständler fliehen müssen, werden Luthers Thesen gedruckt. Am 31. Oktober 1517 sendet er diese an den Erzbischof und schlug sie, aller Überlieferung nach, auch an die Türen der Kirche zu Wittenberg. Die Legende Luther ist geboren.

Ben Knop und Ensemble (c) Volker Beinhorn

Luther bricht mit der römisch-katholischen Kirche und wird vom Papst verbannt. Kaiser Karl der V. (Ben Knop) verhängt über ihn die Reichsacht, als Luther sich auf dem Wormser Reichstag weigert, seine Thesen zu widerrufen. Kaiser Karl sagt ihm freies Geleit für seinen Weg zurück nach Wittenberg zu. Luthers Förderer befürchten jedoch, dass er über kurz oder lang getötet werden würde und entführen ihn auf die Wartburg, wo er versteckt als Junker Jörg sein Dasein fristet. Einsam und vom Teufel gequält, lebt Luther nun im Exil. Er beginnt die Bibel aus dem Griechischen in ein für die Menschen verständliches Deutsch zu übersetzen, denn seiner Ansicht nach sollte jeder das Wort Gottes lesen können. Luthers Widerstand hatte unterdessen außerhalb der Klostermauern weitere Wellen geschlagen. Mönchen und Nonnen verließen die Klöster und Priester wurden von ihren Altären vertrieben. Martin Luther wird daraufhin aus seinem Exil geholt. Er heiratet 1525 die ehemalige Nonne Katharina von Bora (Kristina Neuwert). Gemeinsam eilen sie schließlich nach Wittenberg, wo Luther seinen revoltierenden Unterstützern die Leviten liest. Er rief die Obrigen auf, gegen die Widerständler vorzugehen, womit er sich bei seinen Gefolgsleuten unbeliebt macht. Luther ist fortan von Feinden umringt. Die Wut beherrschte ihn bis zu seinem Tod im Jahr 1546.

Luther –Rebell wider Willen beleuchtet jetzt, passend zum Lutherjahr, dem 500. Jubiläum des Thesenanschlags an die Wittenberger Schlosskirche, die Geschehnisse rund um Martin Luther, Reformator und Rebell. Das Rock-Oratorium aus der Feder von Erich Radke und Tatjana Rese zeigt ausgewählte Stellen aus Luthers Biografie, die als Schlüsselpunkte der Reformation zu sehen sind. Untermalt mit rockigen Arien und poppigen Balladen schreitet Luther so durch sein Leben, immer verfolgt vom Teufel der ihn mit Selbstzweifeln quält. Und wo wäre es passender das Wirken von Rebell und Reformator Dr. Martin Luther zu zeigen, als in einer evangelischen Kirche, die es heute ohne ihn nicht geben würde.

Ensemble (c) Volker Beinhorn

Die Christus- und Garnisonskirche in Wilhelmshaven scheint wie geschaffen für das Stück. Die Landesbühne hat den Bau der Kulissen raffiniert auf den Kirchenraum angepasst. Mit einer schlichten Konstruktion aus mehreren Ebenen, werden allein durch die Anwesenheit der Darsteller auf der Bühne Räume und Schauplätze geschaffen. Kleinste Requisiten dienen zur Untermalung und helfen dabei, sich das Geschehen der damaligen Zeit auszumalen. Kanzel und Kirchenraum, vom Mittelgang bis hin zur Empore, werden für das Spiel genutzt, sodass das Publikum mittendrin und nicht nur dabei ist. Das Seitenschiff der Kirche dient zudem der Unterbringung der Liveband „Die sechs Rebellen“, die unter der musikalischen Leitung von Erich Radke zu Höchstform aufspielen. Die Techniker der Landesbühne tauchen zudem den Kirchenraum immer wieder in verschiedene Lichttöne, die die Stimmung des Stückes aussagekräftig untermalen. Einziger Technischer Wehrmutstropfen bleibt wohl der Ton. Sicherlich der Akustik im Kirchenraum geschuldet, ist vor allem in Szenen mit dem Chor schwer zu verstehen, was gesagt und gesungen wird.

Ben Knop als Maler Lucas Cranach ist es, der die Geschichte um Luther erzählt. Der berühmte Maler war einer von Luthers Weggefährten und führt durch das nahezu durchkomponierte Stück. Er brachte Luther und Katharina von Bora zusammen und malte die Illustrationen in Luthers Bibel. So ist es kein Wunder, dass es Knop gelingt, gleichzeitig mit dem Hintergrund zu verschmelzen und trotzdem präsent zu sein. Seine klare und zugleich dominante Stimme leitet das Publikum. Es gelingt ihm, die Menschen in seinen Bann zu ziehen und sie zu fesseln. Gleiches gilt für den Niederländer Bas Timmers, der sowohl als Teufel als auch als Ablasshändler Tetzel, in dieser Interpretation des Stoffes wohl eine Ausprägung des Teufels, auf der Bühne steht. Seine markante Stimme füllt den Kirchenraum mühelos. Sein androgynes Auftreten und die fast übertriebene Selbstdarstellung lassen ihn zum perfekten Teufel werden, der sich immer am Rand der Szene herumtreibt und das Geschehen mit kleinen fiesen Tricks zu beeinflussen scheint. Obwohl Timmer bereits in großen Produktionen wie Elisabeth (Cover Luigi Lucheni, Stuttgart) oder Kruimeltje (Ensemble, Niederl. Tour) gespielt hat, macht er auch hier im kleineren Rahmen eine gute Figur und mausert sich im Laufe des Abends zu einem der stärksten Darsteller auf der Bühne.

Matthias Jahrmärker als Martin Luther gehört neben Knop und Timmers zu den stärksten Darstellern des Abends. Dabei zeigt er die gesamte Bandbreite von Luthers Zerrissenheit. Seine Selbstzweifel, seine Auflehnung gegen die Kirche, alles wird von Jahrmärker eindrucksvoll zur Schau gestellt. Auch gesanglich kann der Bariton weitestgehend überzeugen. Lediglich an einigen Stellen scheint die Rolle des Luther stimmlich höher angelegt, als es dem Bariton gelingen mag. Dies tut der gelungenen Darstellung jedoch keinen Abbruch.

Vierter im Bunde der herausragenden Künstler des Abends ist Johannes Nepomuk als Schriftgießer Stephan. Stimmlich wohl am stärksten, zeigt der am Wiener Konservatorium ausgebildete Darsteller – zuerst Unterstützer, dann scheinbar Verräter – alle Facetten seines Könnens. In ruhigeren, wie auch in rockigeren Passagen des Stücks trägt seine klare Stimme die Töne durch den Kirchenraum. Unterstützt werden die vier Herren hierbei nicht nur vom Chor, der Wahlweise Berggeister, Mönche, Aufständische oder die Hochzeitsgesellschaft darstellt. Auch Christoph Sommer als Vater Luder, Emanuel Jessel als Generalvikar Staupitz und Kristina Neuwert als Heilige Anna/Katharina von Bora fungieren in ihren diversen Rollen, unter anderen auch als Mönche und Mitglieder des Wormser Reichstages und zeigen ihre darstellerische Vielfältigkeit. Ergänzt wird das Ensemble durch Benjamin Muth, Stephanie Braune und Svenja Marija Topler, die wie auch ihre Kollegen in diverse Rollen schlüpfen und so das Geschehen vorantreiben.

Das gesamte Stück, welches die Landesbühne Niedersachsen Nord hier präsentiert, kann mit zahlreichen ausverkauften Vorstellungen als Erfolg verbucht werden. Unter der Rgie von Tatjana Rese bringen die Darsteller auf engstem Raum die Geschichte des Reformators Luther als großen Erfolg auf die Bühne.