Wer heutzutage einen Theaterbesuch plant, wird bemerken, dass derzeit unzählige Produktionen eines bestimmten Stücks laufen. Die Rede ist von “Evita” von niemand geringerem als Sir Andrew Lloyd Webber und Tim Rice. Wir selbst haben uns dieses Jahr bereits drei Produktionen angesehen. Nun legte, kurz bevor sich das Jahr dem Ende neigt, das Staatstheater Darmstadt mit ihrer Premiere am 15.10. nach. Worin sich diese Inszenierung von den anderen unterscheidet und ob sich ein Besuch lohnt, erfahrt ihr wie immer bei uns.
Die Handlung dürfte mittlerweile vielen ein Begriff sein, dennoch fassen wir noch einmal kurz zusammen, worum es geht: Die 15 Jahre alte Eva Duarte kommt durch ihre Hartnäckigkeit von Junín in die Hauptstadt Buenos Aires. Dort schafft sie es, durch einige Männerbekanntschaften berühmt zu werden. Das bringt sie eines Tages an die Seite von Oberst Juan Perón. Als er zum Präsidenten Argentiniens wird, zieht sie als First Lady mit ihm in die Casa Rosada. Im Alter von 33 Jahren stirbt Evita. Kommentiert werden diese historischen Ereignisse von der einzigen Person, die historisch nicht existiert, stellvertretend jedoch für ein ganzes Volk auftritt: Che.
Die Inszenierung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie einer klaren Struktur folgt. Klare Bilder wechseln sich mit Metaphern und Übertreibungen ab und ergänzen sich so gegenseitig. Dieser Umstand wird durch das Bühnenbild von Dirk Hofacker nur bestärkt. Wenn die Handlung beispielsweise gerade am Bahnhof von Junin spielt, dann sieht man auch einen Bahnhof. Das bewegte Bild eines einfahrenden Zuges wird dabei sogar an eine flächendeckende Leinwand an der Rückseite der Bühne geworfen. Diese Projektionen sind sogar ein wichtiger Bestandteil des Bühnenbilds und ein gelungener Trick. So verwandelt sich die Szenerie in Sekunden vom Bahnhof in Junin zur Großstadt Buenos Aires. Von der linken Bühnenseite wird außerdem öfter eine Empore eingeschoben, die sich – je nach Szene – als Cafés und Kneipen von Buenos Aires oder als Casa Rosada gebrauchen lässt. Im vorderen Drittel lassen sich außerdem Bühnenbilder aus dem Boden schieben, die mal verschiedene Schlafzimmer, Parteizentrale von Juan Perón oder das Krankenbett von Evita zeigen. Auf der anderen Seite stehen die Metaphern, wie beispielsweise während „Jung, schön geliebt“ als Eva auf einer silbernen Münze in Schräglage versucht Fuß zu fassen und immer wieder abrutscht.
Insgesamt hebt sich die Regie von Erik Petersen von bisherigen Produktionen ab und bricht gewissermaßen auf respektvolle Art und Weise mit Traditionen, was aber gewiss auch der Dramaturgie von Catharina von Bülow zu verdanken ist. Das spürt man vor allem, wenn man mehrere Produktionen zuvor gesehen hat und deswegen die Muster erkennt, die hier durchbrochen werden. Bei anderen Produktionen wird “Das Handwerk des Möglichen” gerne genutzt, um Peróns Weg an die Spitze zu zeigen. Sei es durch Russisch Roulette auf einer Treppe, wie in Bad Vilbel, oder eine Reise nach Jerusalem, wie in Bonn. Hier wird eher eine Rotlicht-Szene mit Stangentänzerinnen gezeigt. Und auch Evas Weg nach oben, der sonst in “Adios und Danke” durch wechselnde Nachthemdchen oder Ähnliches gezeigt wird, wird hier durch den raschen Wechsel von Bett zu Bett mit immer weniger Kleidung gezeigt.
Es sind die Kleinigkeiten, die sich hier das Gesamtbild bestimmen. Und so gibt es viele kleine Änderungen. Zunächst fällt auf, dass das Stück nicht – wie so oft – in Junin oder einem Kino in Buenos Aires beginnt. Die Ansprache des Ministers für Öffentlichkeitsarbeit fehlt hier gänzlich. Stattdessen jedoch werden wir Zeugen des verregneten Begräbnisses von Eva Perón, das durch den grandiosen Chor des Staatstheaters bereits hier für den ersten Gänsehautmoment sorgt. Später, während “Buenos Aires”, fehlt Ches Kommentar zu den verschiedenen Gesellschaftsschichten der Stadt. Dies wird später, mit Ausnahme der Erwähnung der Oberschicht, vor “Das Handwerk des Möglichen” eingefügt um die Rolle des Juan Perón einzuführen. Ebenso folgt, wie im Film, auf die Szene in Buenos Aires “Du nimmst den Koffer wieder in die Hand”, was eigentlich nur Peróns Geliebten vorbehalten ist und auf “Ich wäre wirklich sehr gut für dich” folgt. Eine wirklich große Änderung spürt man dann während “Wach auf Argentinien”. Hier werden Andeutungen der aggressiven Propaganda und der Niederschlagung abweichender Meinungen einfach weggelassen. Perón wird sogar in historischer Anlehnung verhaftet und noch vor Ende des ersten Aktes wieder freigelassen.
Im zweiten Akt folgen noch weitere Änderungen. So wird “Santa Evita” ohne Orchester gespielt und – aus Ermangelung eines Kinderchores – von Che selbst dargeboten. Vor Evas letzter Rundfunkansprache folgt dann noch die aus dem Film bekannte Melodie, die hier mit “Verlass mich nicht” besungen wird. Die “Montage” vor Evas Wehklage wurde hier durch den lateinamerikanischen Chor der Urfassung und des Films ersetzt. Im Anschluss an die Wehklage fehlt der Chor der Einbalsamierer und auch Ches Kommentar zur Errichtung des Grabmals und dem Verbleib von Evas Leichnam fehlt.
Mit einer besonderen Bissigkeit und einer gehörigen Portion Humor kleidet hier Dominik Hees die Rolle des Ches aus. So imitiert er öfter die Bewegungen derer, die gerade singen oder sprechen und kommentiert das Geschehen. Bewegend ist vor allem seine Darbietung von “Jung, schön und geliebt”. Und auch der “Walzer” macht im Zusammenspiel von ihm und Eve Rades als Evita wirklich Spaß. Eve Rades passt nicht nur optisch zu der gespielten Rolle, sondern schafft es auch durch ihre scharf geschnittene Stimme sowohl die kühlen, berechnenden Momente der Evita zu unterstreichen als auch die leisen, nachdenklichen Szenen auszufüllen, wie beispielsweise nach ihrem Zusammenbruch beim Walzer oder am Ende zur Wehklage. Zeitweise entwickelt man dank ihrer Darstellung sogar eine gewisse Unsympathie zur Rolle, die sie in anderen Szenen aber wieder zu brechen weiß.
Besonderes Highlight neben “Wein nicht um mich Argentinien” ist hier bestimmt “Ein strahlender heller Stern” und die “Regenbogen-Tour”. Carl van Wegberg schafft es, die sonst unliebsame Rolle des Juan Peron zu einem wirklichen Bestandteil der Handlung zu entwickeln und besticht mit angenehmen Gesang.
Insgesamt ist es eine erfrischende Produktion eines bekannten Stoffes, der durch ein junges, motiviertes Ensemble glänzt. Dabei kann man der Handlung auch problemlos folgen, wenn man sich mit dem Stoff im Vorfeld nicht auseinander gesetzt hat.
Wer nun Lust bekommen hat, das Musical in Darmstadt live zu erleben, hat in dieser Spielzeit die Möglichkeit dazu. Tickets und Infos sind hier zu finden.