Ein viel zu selten gespieltes Stück konnte man bis zum 18.06. in Gießen erleben: “Der Kuss der Spinnenfrau”. Neben “Cabaret” und “Chicago” ist “Der Kuss der Spinnenfrau” ein weiteres Musical des Erfolgsduos John Kander (Musik) und Fred Ebb (Texte), das Erfolge am Broadway erzielte und über Jahre hinweg dort gespielt wurde. Nun hat sich das Stadttheater Gießen diesem Stoff angenommen. Was wir davon halten, möchten wir euch natürlich nicht vorenthalten.
Zunächst ist es sinnvoll zu wissen, worauf man sich bei diesem Musical einlässt. Die Handlung ist komplex und es ist keinesfalls ein Stück mit Happy End, wie man es heutzutage häufig erwarten würde. Wie bereits “Chicago” spielt das Stück in einem Gefängnis. Wo bei Chicago jedoch munter getanzt und ein schwarzer Humor an den Tag gelegt wurde, fährt “Der Kuss der Spinnenfrau” ganz andere Geschütze auf. Gleich zu Beginn stellt sich schon ein beklemmendes Gefühl der Enge ein, da die von Molina bewohnte Zelle viel zu klein für ihn allein zu sein scheint. Doch zum wegen Verführung eines Minderjährigen Einsitzenden Molina gesellt sich nun auch noch Valentín – ein politischer Gefangener. Während zu Beginn beide zueinander eine starke Abneigung empfinden, entwickelt sich im Laufe der Handlung eine Freundschaft, die jedoch von den erschreckenden Ereignissen im südamerikanischen Gefängnis überschattet wird und somit mehr und mehr in den Hintergrund gerät. Während im Gefängnis Folter und menschenunwürdige Verhältnisse an der Tagesordnung stehen, entflieht Molina immer mehr in die Welt früherer Filmdiven. Vor allem Aurora in ihren verschiedenen Rollen hat es ihm angetan, doch fürchtet er sich vor einer bestimmten Rolle: Die Spinnenfrau, die früher oder später jeden in ihr Netz lockt.
Als spartenübergreifende Produktion vereint dieses Stück wirklich alles, was man sich von einem Musical wünscht: hervorragende Solisten, ein glänzendes Orchester, ein beeindruckender Opernchor und solide Schauspieler und Tänzer.
Molina, gespielt von Andrea M. Pagani, spielt seine Rolle überzeugend und manchmal etwas überzogen, was jedoch im angenehmen Kontrast zu Valentin, gespielt von Thomas Christ, steht. Beide spielen auf der Bühne bewegend und dynamisch zusammen. Beide haben eine angenehme Singstimme, die sie in den wenigen Songs, die sie singen dürfen, auch voll und ganz ausleben. Thomas Christ spielte darüber hinaus bereits in Lübeck und Eisenach im Musical “Der Kuss der Spinnenfrau” mit und ist deshalb für dieses Musical kein unbeschriebenes Blatt.
Eine wahre Leading Lady und erschreckend wandelbar ist Sophie Berner, in der Rolle der Aurora bzw. der Spinnenfrau. Sie singt mit ihrer unverkennbar düsteren Stimme und legt eine beeindruckende Mimik an den Tag, die von einem Augenblick zum anderen bedrohlich, verführerisch und fürsorglich zugleich wirken kann. So tritt sie auch in den vielen verschiedenen “Filmrollen” der Aurora immer wieder auf und lockert die doch eher beängstigende Atmosphäre des Gefängnisses auf. Ein wahres Highlight sind neben der Solonummer “Das Lied der Spinnenfrau” im zweiten Akt außerdem die Kostüme, in die sich Sophie Berner hüllen darf. Verantwortlich hierfür zeichnet sich José-Manuel Vazquez.
In den großen Ensemblenummern kam der große Opernchor des Stadttheaters, unter der Leitung von Jan Hoffmann, zum Einsatz und verlieh den Songs eine einzigartige Kraft.
Zu wahren Unsympathisanten entwickelten sich die Gefängnisdirektorin (Petra Soltau) sowie die Gefängniswärter (Maximilian Schmidt und Harald Pfeiffer) durch ihr überzeugendes Schauspiel.
Es spielte außerdem das Philharmonische Orchester Gießen unter der Leitung von Andreas Kowalewitz.
Den Rahmen für die Handlung bildete das schlichte, doch wandelbare und bedrohliche Bühnenbild von Lukas Noll, das innerhalb weniger Augenblicken andere Bilder zeigen konnte.
Auch wenn man nun vorerst keine Gelegenheit mehr hat, das Musical in Gießen zu erleben, bleibt es dennoch ein gelungener Abend, der gewiss Lust auf mehr macht.
In der nächsten Spielzeit zeigt das Stadttheater Gießen ebenso wieder verschiedene Musicals.