Als die Spotlight Musicalproduktion GmbH die weltweit ersten Bühnenrechte des 1996 erschienenen Romans der US-amerikanischen Autorin Donna W. Cross erwarben, war sicherlich noch nicht abzusehen, dass das daraus entstandene Musical „Die Päpstin“ ein solcher Erfolg werden würde. Natürlich bieten literarische Vorlagen, besonders aus dem religiösen Bereich, ein breites Spektrum an Möglichkeiten, sich quer durch die Weltgeschichte zu arbeiten. Jedoch lässt sich nicht jedes Buch gleich zu einem Musical verarbeiten – anders jedoch „Die Päpstin“.
Für Dennis Martin, zu der Zeit eigentlich gar nicht unbedingt in der Musicalszene, sondern vielmehr im Rock-Pop-Bereich tätig war, schien dies gar keine Frage zu sein. Er schrieb die Musik und zusammen mit Christoph Jilo das Buch dazu. Knapp fünfzehn Jahre nach dem Erscheinen des Bestsellers, kann Martin seine Idee mit der Uraufführung 2011 in Fulda endlich in die Tat umsetzen. Mittlerweile durfte der Dauerbrenner der Spotlight Musicals mehr als 80.000 Zuschauer erfreuen und ist alljährlich an den unterschiedlichsten Spielstätten zu Gast. Musikalisch bedient Martin sich dabei nicht, wie vielleicht bei diesem Thema erwartet werden könnte, bevorzugt kirchlichen Tönen, sondern leicht mittelalterlich anheimelnden Klängen, die dem Ganzen einen fast schon modernen, ganz sicher aber einen zeitlosen Touch verleihen. Mit „Boten der Nacht“ gelingt es ihm bereits zu Beginn einen Ohrwurm zu kreieren, der noch lange nachhallt, bevor sich Stück für Stück weitere melodische Höhepunkte dazugesellen. Die Musik ist so abwechslungsreich, wie ein bunter Jahrmarkt der damaligen Zeit. Egal ob fröhlicher Feiergesang, gefühlvolles Liebesduett oder die in eindrucksvollen Soli – gesungene Momente voller Angst, Verzweiflung; es ist ein ständiges auf und ab der Gefühle, in das der Zuschauer unweigerlich mit hinein gesogen wird.
Die Antwort auf die Frage, wo der Ort der Handlung sein kann, liegt quasi auf der Hand. Welcher wäre passender als Fulda? Die Stadt, die aus dem 744 erbauten Kloster entstand und auch heute noch weit über die Stadtgrenzen hinaus für seine vielen barocken Bauten bekannt, die Stadt wo ein Hauptteil der Geschichte seinen Lauf nimmt und passenderweise auch noch die Heimatstadt Dennis Martins ist. Die Romanvorlage hält sich ohnehin nur teilweise an die Rahmendaten der überlieferten Legende; da der Großteil des Buches jedoch aus einer erfundenen Geschichte besteht, bleibt genügend Spielraum für eigene Ideen.
Der Erfolg des Musicals ist beeindruckend. Möglicherweise ist genau das, was eigentlich in der Musicalszene oftmals Anlass zum Monieren gibt, nämlich die Modifizierung jeder Wiederaufnahme stößt bei „Der Päpstin“ offensichtlich auf wenig Gegenwehr. Der allgemeine Tenor der Kritiker fällt eher positiv aus. Die Details, die mit viel Fingerspitzengefühl und auch einem kleinen bisschen Experimentierfreude hineingearbeitet werden, bieten dem Vielgänger immer etwas Neues und lassen auch dem Erstbesucher der Handlung mühelos folgen. Natürlich bietet die gesamte Geschichte jede Menge Potential für Krieg und Frieden, Mord und Intrigen, Liebe und Leidenschaft und genau das wird im Musical eindrucksvoll umgesetzt.
Johanna (Sabrina Weckerlin), die als Tochter des Dorfpriesters (Sebastian Lohse) und seiner heidnischen sächsischen Frau Gudrun (Anke Fiedler) in Ingelheim am Rhein zur Welt kommt, hat eine alles andere als glückliche Kindheit. Früh muss sie lernen sich in einer Welt, in der Frauen rein gar nichts wert sind, zu behaupten. Gesegnet mit großer Klugheit und einem unbändigen Wissendurst, erlernt sie gegen den Willen des Vaters heimlich lesen und schreiben. Aeskulapius (Reinhard Brussmann), der ihr Talent bei einem Besuch erkennt, ermöglicht ihr den Besuch der Klosterschule in Dorstedt. Markgraf Gerold (Mark Seibert) und seine Frau Richild (Larissa Windegger) bieten ihr in der Zeit eine Unterkunft. Als Heranwachsende findet sie an Gerold Gefallen, der ihr gegenüber auch nicht abgeneigt scheint. Als einzige Überlebende eines Angriffs der Normannen auf das Kloster fasst sie einen folgenschweren Entschluss. Sie tritt, nachdem sie sich die Haare abgeschnitten hat, als Johannes Anglicus, dem Kloster in Fulda bei, wo sie fortan als Mönch lebt.
Viele Jahre betreibt sie dort ihre Studien, immer in Angst, als Frau erkannt zu werden. Zur Seite steht ihr in dieser Zeit nur Abt Rabanus (Lutz Standop). Dennoch geht sie ihren Weg, der sie eines Tages nach Rom führt. Die Gefahr, dass ihr Geheimnis aufgedeckt werden könnte, wächst ständig. Die Stadt wird von Feinden bedroht, am Hofe des Papstes werden Intrigen gesponnen, mächtige Gegner treiben ein böses Spiel. Ihr unglaubliches medizinisches Wissen lässt sie zum Leibarzt des Papstes aufsteigen. Noch glaubt sie sich auf dem richtigen Weg. Dies ändert sich schlagartig, als sie völlig unerwartet in Rom auf ihre große und nie vergessene Liebe Gerold trifft. Schon wieder wird sie zu einer Entscheidung gedrängt, die zwischen Liebesglück oder persönlicher Unabhängigkeit wählen lassen muss. Doch dann erwartet sie die schwerste Aufgabe, als sie nach dem Ableben des Papstes vom römischen Volk völlig überraschend als sein Nachfolger gewählt wird. Als ihr dann zudem klar wird, dass die Liaison mit Gerold nicht folgenlos geblieben ist, spitzt sich die Situation weiter zu und das Unheil nimmt seinen Lauf…
Sabrina Weckerlin übernimmt nun schon zum wiederholten Male die Rolle der Päpstin Johanna und hat darin offensichtlich „ihre“ Rolle gefunden. Fast könnte man glauben sie sei extra für sie geschrieben worden. Glaubwürdiger und intensiver kann man diese Figur kaum darstellen. Sicher in allen Tonlagen und ohne durch allzu starkes Belten in unangenehme Höhen abzudriften, ist es ein Genuss ihr zuzuhören. Hier stellt man, wieder einmal, fest, dass ihre Stärke in den Balladen liegt. „Einsames Gewand“ ist dort ohne Zweifel eines der vielen Highlights des Stückes.
Mark Seibert, den seiner eigenen Aussage nach, ohne das Stück zu kennen von Beginn an die Musik faszinierte, zeigt in seiner Rolle als Gerold einen weiteren Einblick in seine Gesangs- und Schauspielkunst. Sein „Traum ohne Anfang und Ende“ sorgt für feuchte Augen und „Wehrlos“ das Duett mit Sabrina für Dauergänsehaut. Die gesamte Bandbreite von Emotionen wie Liebe, Zorn, Verzweiflung und Seelenleid spiegeln sich in „seinem“ Gerold wieder. Ohne große Überlegungen nimmt man ihm die Gefühlsachterbahn ab, die durch seine in den Balladen liegende Stärke, nochmals betont werden. Es macht einfach Spaß miterleben zu dürfen, wie Sabrina Weckerlin und Mark Seibert miteinander harmonieren und die Figuren der Legende zum Leben erwecken.
Ein glückliches Händchen wurde mit der Besetzung des gesamten Musicals in Fulda unter Beweis gestellt. Hier kann man mit Fug und Recht bemerken, dass einmal mehr ein Traumcast zusammengestellt wurde. Denn auch die vielen anderen Darsteller sollte man nicht unbeachtet lassen. Reinhard Brussmann, der in „Die Päpstin“ als Aeskulapius zu sehen ist, ist Fulda – wie einige andere Kollegen auch – treu geblieben. Die Zeit in der er in der Inszenierung des „Medicus“ im Schloßtheater zu Gast war, ist dem Publikum mit Sicherheit in sehr guter Erinnerung geblieben. Obwohl seine derzeitige Rolle so groß gar nicht ist, ist er bei jedem Auftritt äußerst präsent und überzeugt zudem mit grandioser Gesangsleistung. Seine sympathisch daherkommende Figur vermittelt sogleich Vertrauen und Verständnis für eine Frau, nämlich Johanna, in einer Zeit in der Frauen alles andere als geschätzt wurden.
Im Gegensatz zu Anastasius (Christian Schöne), dem Sohn eines Adeligen, dessen Vater durch Geld und allerlei Intrigen versucht ihn zum Papst wählen zu lassen. Sein Charakter entwickelt sich im Laufe des Stücks von dem anfänglich erst etwas naiven bis später zum intriganten Widersacher aller, die ihn daran hindern den Papstthron zu besteigen. Für Christian Schöne ist 2018 auch nicht die erste Spielzeit in Fulda. Bereits bei der Uraufführung 2011 verkörperte er den Unsympathen in „Die Päpstin“, was ihm die Möglichkeit gibt, die Rolle immer ein wenig weiter zu entwickeln und sie so für sich zu perfektionieren. Parallel dazu wirkte er an weiteren vergangenen Produktionen mit. Eine beachtliche Leistung erbringen auch die beiden Kinder Alicia Hohmann und Joshua Pfahls, die Johanna und ihren Bruder Johannes darstellen. Sie brauchen sich hinter den „Großen des Musicals“ mit denen sie auf der Bühne stehen nicht zu verstecken.
Für das Bühnenbild zeigt sich auch in diesem Jahr Christoph Weyers verantwortlich, der es meisterhaft versteht, die Bühne bis in den kleinsten Winkel auszunutzen. Durch Videoprojektionen und den Einsatz der im Schloßtheater vorhandenen Drehbühne, ist es ihm möglich, in kürzester Zeit die Szenerien zu ändern ohne dabei den Spielfluss zu unterbrechen. Eine eigentlich einfache Kulisse wird dadurch so abwechslungsreich, dass man glaube könnte es gäbe zig verschiedene Bilder. Eine Tatsache, die ein weiteres Mosaik im Gesamtbild dieser großartigen Inszenierung ergibt. Dieser Eindruck verstärkt sich noch als die Seitengänge des Zuschauerraumes mit einbezogen werden.
Schade ist nur, dass man sich keines Live-Orchesters bedient. Dafür mag es diverse Gründe geben, die sicherlich auch nachvollziehbar sind. Die eingespielte Musik des Tschechischen National Symphonieorchesters und es Orchesters Fulda sind auch gut abgemischt und klingen keinesfalls schlecht, jedoch ist ein „echtes“ Orchester eben nicht einfach zu ersetzen. Dies ist aber auch der einzige kleine Kritikpunkt, der bei dieser insgesamt einfach nur großartigen Inszenierung so gut wie gar nicht ins Gewicht fällt.
Noch bis zum 08. Juli 2018 läuft dieses großartige Stück. Mit etwas Glück kann man für ein paar Vorstellungen paar Restkarten ergattern. Wer es noch nicht gesehen hat, sollte sich diese Chance keinesfalls entgehen lassen. Wer es in diesem Jahr nicht mehr schafft, kann den Blick bereits auf 2019 richten, wo „Die Päpstin“ wieder im Fuldaer Schloßtheater Einzug halten wird. Der Kartenvorverkauf hat bereits begonnen: spotlight-musicals.eventim-inhouse.de