Der Veranstalter wirbt mit „kraftvollen Stimmen […] unterstützt von einem ausgefeilten Licht- und Soundkonzept“. Die internationale Musicallandschaft wird „eindrucksvoll und stimmgewaltig wiedergegeben“. Sagen wir es mal so: Wir können nicht verstehen, weshalb die Zuschauer so begeistert bei der Sache sind und die Musicalgala als „erfolgreichste aller Zeiten“ beworben wird. Sicherlich, die Verkaufszahlen sprechen eine Sprache, aber wohl auch nur, weil die Gala auf die breite Masse, die sich noch nie mit dem Musicalbereich beschäftigt hat, anspricht. Einziges Trostpflaster für geschundene Ohren (und manchmal auch Augen) ist Martin Markert, der mit seiner Stimme besticht.
Der Saal ist gut gefüllt, als die „Stars“ des Abends die Bühne im Berliner Tempodrom betreten. Zwar wird am Beginn per Ansage darauf hingewiesen, dass alle Künstler live singen, von Live-Musik kann jedoch keine Rede sein. Aus den Lautsprechern donnert, gleich von Beginn an, vollkommen übersteuerte Musik vom Band, die an so mancher Stelle das Trommelfell erschaudern lässt, ob ihrer schieren Lautstärke. Das „ausgefeilte Soundkonzept“ besteht hier eindeutig in viel hilft viel, in diesem Fall viel Lautstärke. Positiv anzumerken bleibt da bloß, dass trotz der schieren Lautstärke die Stimmen der Darsteller zu verstehen sind. Hinzu kommt, dass eine Halle für das Tempodrom für eine Veranstaltung wie „Die Nacht der Musicals“, trotz vollen Haus, schier überdimensioniert erscheint. Besonders im Oberrang wird dies deutlich, wo man zwar die dröhnende Musik hört, aber die Darsteller auf der Bühne verloren wirken und kaum zu erkennen sind.
Eröffnet wird das zweieinhalbstündige Programm mit einer Zusammenstellung aus dem Musical „Rocky“. Martin Markert als Rocky und Cemile Bakanyildiz als Adrian zaubern hier mit „Wahres Glück“ das wohl erträglichste Duett des Abends gleich zu Beginn auf die Bühne. Während Markert auch ein solides „Fight from the Heart“ auf die Bühne bringt, wird schon eines deutlich: in der Masse kann man den Sängern besser zuhören, als wenn sie mit Soli auf der Bühne stehen. Dies wird besonders im folgenden Block deutlich. Merle Saskia Krammer, eben noch als Nummerngirl in „Gonna Fly now“ auf der Bühne, steht Momente später gehüllt in ein schaurig rosa-violettes „Kleid“, welches eher einem Bademantel gleicht, unter dem noch das rote Glitzerkleidchen hervorblitzt, auf der der Bühne. Ihr „Think of me“ aus dem Phantom der Oper führt wohl bei jedem, der sich nur ein einziges Mal annährend mit dem Musical beschäftigt hat, zu kaltem Schaudern. Johannes Beetz, der sich als Phantom zwar besser schlägt als Krammer in der Rolle der Christine, vermag da wahrlich auch nichts mehr zu retten. Jeder der das Lied kennt, kann nur beten, dass sich Krammer nicht an den hohen Noten des titelgebenden versucht, sie tut es jedoch.
Nach zweifelhaftem Rap in „Jesus Christ Superstar“ und sich immer wiederholenden Tanzbewegungen der „Broadway Musical Dance Company“, folgt mit „Totale Finsternis“ einer der Tiefpunkte des Abends. Während Johannes Beetz zwar wieder sein Möglichstes tut, verschreckt leider die Darstellerin der Sarah. Ihre Stimme passt weder zum Lied noch zur Rolle und auch durch Schreien statt Singen wird nichts gerettet. Das Beetz dabei im gruselig glitzernden Umhang als Graf von Krolock auf der Bühne steht, gerät fast zur Nebensache. Versöhnen kann danach ein wenig Michael Ewig als Falco. Leider ging seine Darbietung jedoch fast im Dröhnen der Boxen unter. Hätte man hier ein wenig mehr auf die Regulierung der Lautstärke gesetzt, wäre Ewigs Leistung sicherlich klarer herausgetreten. Bevor es dann zum erfreulicheren „Hinterm Horizont“-Block überging, quälte sich Kathy Savannah Krause noch durch „Memory“ aus Cats. Die Darstellerin, die im zweiten Akt im Queen Block eine deutlich solidere Leistung bringt, ist sicherlich auch vom wenig eindrucksvollen, aber eben der breiten Masse bekannten Song, gebeutelt.
Als in Hinterm Horizont neben Martin Markert als Udo Lindenberg wieder das ganze Ensemble auf der Bühne steht, geht es merklich bergauf. Mit dem Medley aus „Mädchen aus Ostberlin“, „Moskau/Bis an Ende der Welt/Gitarren statt Knarren“ und „Hinterm Horizont“ gelingt hier ein gelungener Mix, der einen guten Einblick in des Stück bietet. Anschließend, ganz kurz bevor der erste Akt endlich geschafft ist, bemüht Beetz erneut den schrecklich rotglitzernden Umhang des Grafen von Krolock. Zwar bietet er eine stimmlich solide Leistung, von den Emotionen, die zu diesem Lied gehören, jedoch keine Spur. Verzweiflung, Zerrissenheit und Schmerz sucht man vergebens. Und dann ist da immer noch der Umhang. So ist es kaum ein Wunder, dass man andere Zuschauer sich wundern hört „Was das denn war?“. Generell ist es streckenweise, besonders für den Laien, schade, dass es keine kurze Einführung in das jeweilige Stück und die entsprechende Stimmung im Song gibt. Manche Stücke wären so sicherlich einfacher zu verorten. Als Abschluss vor der Pause zeigen noch mal alle „was sie können“ in einem Medley aus Mamma Mia schlagen sich alle, in diesmal passend bunten Kostümen, wacker. Einzige das eingeflochtene Stück aus Madonnas „Hung up“ lädt (mal wieder) zum Wundern ein. Zwar ist auch in Madonnas Lied ein Stück von ABBAs „Gimme! Gimme! Gimme!“ eingeflochten, passen tut es an einem Musicalabend jedoch nicht.
Teil 2 des Abends kann dankenswerterweise gleich zu Beginn mit einem Highlight aufwarten. Martin Markert hat sich in Lack und Leder geworfen und bietet den schrill schönen Dr. Frank’n’Furter dar. „Sweet Transvestite“ liegt Markert ganz eindeutig und er scheint es zu genießen, bei seinem kurzen Ausflug von der Bühne ins Publikum, die anwesenden Herren in Verlegenheit zu bringen. Anschließend geht es leider wieder bergab. Zwar ist der Versuch erfreulich, „Let it go“ aus Disneys „Die Eiskönigin“ mehrsprachig auf die Bühne zu bringen, fraglich bleibt jedoch, weshalb neben der Eiskönigin auch noch Prinzessin Anna im Solo der Eiskönigin mitmischt. Die Tänzer, die im Hintergrund Stoffbahnen schwingen und wohl einen Eissturm darstellen sollen, wirken zudem leider eher als würden sie Bettzeug ausschütteln. Alles in allem lässt dieser Block mehr Fragen offen als er beantwortet. Eine solide Leistung wird im Anschluss mit „In meiner Welt“ aus Aladdin geboten. Zwar sieht man, dass sie das Lied nicht tagtäglich singen, im Gegensatz zu anderen Duetten zeigen sie hier jedoch eine gute Show. Auch Johannes Beetz und Cemile Barkanyildiz spielen und singen ihre Rollen im folgenden „König der Löwen“-Part gut. Hier hätte man bei der Planung jedoch möglicherweise auf bekanntere Lieder aus dem Stück setzen sollen, da sowohl „Er lebt in mir“ als auch „Schattenland“ stark aus dem Zusammenhang gerissen wirken.
Mit Elisabeth folgt in der Mitte des zweiten Blocks wohl das Highlight des gesamten Abends. Man merkt deutlich, dass Markert hier „drin“ ist und die Rolle des Todes vor nicht allzu langer Zeit noch regelmäßig gespielt hat. Sein „Der letzte Tanz“ ist eine Wohltat für geschundene Ohren. Leider hält diese Erholungsphase jedoch nicht lange, nämlich genau bis zum Zeitpunkt als Merle Saskia Krammer, die die Kaiserin Elisabeth verkörpert, den Mund aufmacht. Wie schon als Christine im Phantom der Oper, gelingt es ihr nicht, die Höhen, die die Rolle vorgibt, zu erreichen. Auch Markert hat Mühe gegen sie anzukommen, wenn er auch bei „Wenn ich tanzen will“ sein Möglichstes tut.
Auch wenn nicht jeder Ton exakt sitzt, bietet Kathy Savannah Krause als Scaramough im Queen Block mit „Somebody to love“ den auf Damenseite stärksten Auftritt des Abends. Mit „We are the champions“ und „We will rock you“, das die Sänger gemeinsam darbieten, mildert sich erneut der Eindruck der einzelnen Stimmen und erlaubt eine gute Darstellung des Rockmusicals mit der Musik von Queen. Bevor zum Abschluss ein recht erfreuliches Medley aus Ich war noch niemals in New York folgt, quälen die Darsteller sich jedoch noch durch „The Rose“. Während manche Stücke des Liedes gelingen, wünscht man sich an anderen Stellen jedoch, das Lied wäre nicht auf der Setlist gelandet. Einen runden Abschluss bildet ein buntes, bei Musicalabenden durchaus häufig vorkommendes, Medley aus Ich war noch niemals in New York. Die bunte Mischung hebt zum Abschluss noch einmal die Stimmung, die durch einen ruhigeren Song wie „The Rose“ gedrückt wird.
Den ganzen Abend über begleitet werden die Sänger durch die Broadway Musical Dance Company. Während die Tänzer kaum durch einfallsreiche Choreographien hervortreten, sind ihre Kostüme, vor allem in Sweet Transvestite und Ich war noch niemals in New York, passend abgestimmt und nett anzusehen. Sängerisches Highlight des Abends ist eindeutig Martin Markert. Leider geht sein Talent bei den vielen negativen Punkten stark unter. Für den geneigten Musicalfan, der Wert auf gute Stimmen und hochwertige Unterhaltung legt, bleibt jedoch dieser Abend nicht zu empfehlen. Bei Preisen von 40 bis 70€ kann ein einzelner sehr guter Darsteller die Show nicht retten.