Mit ihrer Inszenierung des Musical-Dauerbrenners „Cabaret“ bringt die Semperoper Dresden einen absoluten Klassiker auf die kleine Bühne der Spielstätte Semper Zwei. Mit nur wenigen Requisiten, aber dafür fantastischen Darstellern entführt der Conférencier des berühmt-berüchtigten Kit-Kat-Club die Zuschauer für rund zwei Stunden in eine Welt der Gegensätze. Eine Welt aus Vergnügen, Angst, Lust und Armut.
Bereits 1966 feierte das Musical mit der Musik von John Kander und den Texten von Fred Ebb, seine erfolgreiche Uraufführung in New York City. Basierend auf dem Schauspiel I Am a Camera (1951) von John van Druten schrieb Joe Masteroff das Buch zu diesem weltbekannten Musical, welches bis heute seine Zuschauer fasziniert und 1972 mit einem enormen Erfolg mit der wunderbaren Liza Minelli in der Hauptrolle verfilmt wurde. Die deutschsprachige Erstaufführung fand am 14. November 1970 im Theater an der Wien statt. Die Übersetzung stammt aus der Feder von Robert Gilbert und wurde auch bei der Inszenierung in Dresden genutzt.
Ende der 1920er Jahre kommt der junge amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw nach Berlin, um dort an seinem ersten Roman zu arbeiten. Er hoffe, dass die Menschen und vor allem die Stadt selbst für ihn eine ungeahnte Inspiration sein können, um endlich literarische Erfolge zu feiern. Bereits am Bahnhof begegnet er Ernst Ludwig, welcher ihm ein Zimmer in der Pension von Fräulein Schneider verschafft. Dank Ludwig erkundet der junge Schriftsteller auch das Berliner Nachleben und trifft im Kit-Kat-Club die englische Sängerin Sally Bowles, die kurze Zeit später auch schon bei ihm unterkommt. Aus der vorübergehenden Notlösung wird schnell Liebe.
Während jeden Abend das Leben im Kit-Kat-Club tobt, zeigt sich in Fräulein Schneiders Pension eine ganz andere Welt. Fast täglich bringt die Untermieterin Fräulein Kost Freier mit nach Haus, um die Miete zahlen zu können und auch die Vermieterin selbst muss kämpfen, um über die Runden zu kommen. Einziger Lichtblick in Fräulein Schneiders Welt ist der Obsthändler Herr Schultz, der sie hin und wieder mit besonderen Köstlichkeiten überrascht. Die beiden beschließen zu heiraten. Auf der Verlobungsfeier der beiden stellt sich jedoch heraus, dass Herr Schultz Jude und der als Gast anwesende Ernst Ludwig Nationalsozialist ist. Der Zusammenprall der beiden Welten geht nicht gut aus und auch Cliff und Sally fügen sich der aufkeimenden Angst dieser Zeit, jedoch jeder auf seine eigene Weise.
Die Inszenierung verzichtet natürlich nicht auf die bekannten Songs der „neuen“ Fassung des Stückes. Die Lieder “Mein Herr”, “Money” und “Maybe this time”, welches ursprünglich für den Film geschrieben wurden, werden mittlerweile auch in die meisten Bühnenfassungen eingebaut. Als Besonderheit ist in der Dresdner Inszenierung außerdem das oft gestrichene Lied “Mieskeit” mit von der Partie, welches von Herrn Schultz auf der Verlobungsfeier gesungen wird. Dafür verzichtet die Inszenierung auf andere Stücke, was jedoch an dieser Stelle keinen Abbruch tut.
Mit Cabaret als Neuproduktion setzt die Dresdner Semperoper nur zaghaft auf ein neues Pferd, was jedoch in allen Belangen ein größeres Publikum verdient. Allen voran besticht vor allem Aaron Pegram in seiner Rolle als Conférencier, der bei geneigten Filmfans den Eindruckt erweckt, Joel Grey selbst stehe da auf der Bühne. Julia Gámez Martin interpretiert die Rolle Sally Bowles auf elegante Art und Weise und verleiht mit ihrer starken Stimme manchen Nummern einen soulig-poppigen Unterton, der auch die Aktualität des Stückes unterstreicht. Schauspielerisch harmoniert sie wunderbar mit Simeon Esper, der den Clifford Bradshaw spielt. Dieser bleibt dem Publikum vor allem durch seinen angenehmen Tenor auch nach dem Stück weiter im Gedächtnis. Auch schauspielerisch zeigt er deutlich, dass er sich auf den Bühnen der Welt ganz zu Hause fühlt und liefert als Cliff eine mühelose Glanzleistung ab. Sabine Brohm als Fräulein Schneider hat alle Zügel in der Hand, aber schmilzt auf der Bühne förmlich dahin, als sie von Martin-Jan Nijhof als Herr Schultz mit Delikatessen charmant umworben wird. Mit „Mieskeit“ liefert Nijhof einen der besonderen Höhepunkte des Stücks. Manja Stein als Fräulein Kost überzeugt nicht nur Matrosen von ihren Qualitäten, sondern kann auch das Publikum in allen Belangen um ihren Finger wickeln. Rüdiger Hauffe besticht als Ernst Ludwig durch sein präzises und geradliniges Schauspiel, was dem Zuschauer an manchen Stellen einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Auch die Kit Kat Girls und Boys inszenieren sich fabelhaft und jeder noch so kleine Tanzschritt sitzt auf minimalstem Platz.
Obwohl das Bühnenbild spartanisch ist, fällt es den Darstellern nicht schwer, den Zuschauer voll und ganz in den Kit-Kat-Club zu entführen. Das Stück wird hauptsächlich durch die Darsteller getragen, die durch ihre Präsenz den ganzen Raum ausfüllen und so auch das schwierige Thema des Stückes mit einer ungeahnten Leichtigkeit transportieren. Unterstützt werden sie dabei durch ein (reduziertes) Orchester, welches für den intimen Rahmen der Produktion durchaus ausreichend ist. Insgesamt ist „Cabaret“ eine gelungene Produktion, die leider erst im Dezember 2018 wieder in Dresden zu sehen sein wird.
Matthias Neumann & Julia Wagner