Es gibt Musicals, die sind einfach zeitlos. Sie werden einige Zeit gespielt und verschwinden dann wieder für längere Zeit in Schubladen der Theaterregisseure, was manchmal einfach sehr schade ist. In in dieser Spielzeit erwartet den Zuschauer eher das Gegenteil: Evita wird zur Zeit gefühlt in jeder 3. Stadt aufgeführt. In verschiedenen Inszenierungen, oft hochkarätig besetzt, erlebt das Stück von Andrew Lloyd Webber, das 1978 im Prince Edward Theatre uraufgeführt wurde, gerade eine Rennaissance quer durch die Bundesrepublik und das benachbarte deutschsprachige Ausland.
Auch das Theater Bonn ist auf den Zug aufgesprungen, könnte man meinen, aber weit gefehlt: Dort hat man sich Gedanken gemacht, wie man sich von den anderen unterscheiden kann. So ist das Stück nicht nur mit viel Geschick besetzt worden, was bereits Namen wie Bettina Mönch (Evita), David Jakobs (Che) oder auch Mark Weigel (Perón) vermuten lassen, sondern auch Star-Regisseur Gil Mehmert, der unter anderem bereits in der Spielzeit 2013/14 Jesus Christ Superstar inszenierte, konnte erneut verpflichtet werden. Ihm ist es gelungen, den Stoff des Stücks, der oftmals als zu politisch für ein Musical angesehen wird, so auf die Bühne zu bringen, dass auch politisch nicht so interessierte Zuschauer auf ihre Kosten kommen. Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass das üblicherweise spielende Orchester durch eine 9-köpfige Band ersetzt wurde, die nicht wie sonst im Orchestergraben, sondern für alle sichtbar im hinteren Teil der Bühne platziert wurde. Die Musik selbst wurde durch teilweise neue Arrangements aufgepeppt und trifft damit den Geschmack der Zeit.
Obwohl, außer dem sich durch das gesamte Musical in verschiedenen Formen ziehende „Wein‘ nicht um mich, Argentinien“ und „Du nimmst den Koffer wieder in die Hand“, keine Melodie dazu neigt, sich gleich im Ohr des Hörers festzusetzen, ist sie jedoch rund um die Handlung des Stückes so eingesetzt, dass sie einfach passt.
Die Geschichte um das Leben der Eva Perón beginnt 1952 in Buenos Aires mit ihrem Tod und wird von dem Studenten Che quasi als eigentlich Außenstehender rückblickend erzählt. Dabei entführt er die Zuschauer zunächst in das Jahr 1935, als die damals 15-jährige unscheinbare Eva auf den Tangosänger Augustin Magaldi (Johannes Mertes) trifft. Von ihr verführt und unter Druck gesetzt, nimmt er sie mit nach Buenos Aires, wird aber von ihr verlassen, als sie von Frau und Kind seinerseits erfährt. Selbstbewusst macht sie in relativ kurzer Zeit Karriere als Schauspielerin und Radiomoderatorin, hat zahlreiche wechselnde Liebhaber und lernt irgendwann dabei Juan Perón kennen. Er versucht zu dem Zeitpunkt mit seiner Partei die Macht an sich zu reißen. Die beiden heiraten. Dadurch vereinnahmt sie ihn komplett für sich und hat fortan ebenfalls politische Ambitionen. Sie ist es eigentlich, die sowohl im Vorder- als auch im Hintergrund die Fäden zieht. Sie trotzt allen Gegnern und geht ihren eingeschlagenen Weg unbeirrt weiter. Sie bereist auf Ihrer Regenbogentour, die sie ohne ihren Mann unternimmt, diverse europäische Länder, in denen sie nicht überall gern gesehen ist. Sie gründet eine Stiftung, bei der dem Volk bald klar wird, dass nur ein Teil deren Gelder seinem eigentlichen Zweck zugeführt werden.
Der Erzähler Che macht keine Hehl daraus, dass er ihr und ihrem Treiben gegenüber eher kritisch und ablehnend gegenüber steht. Aufgrund ihres Lebenswandels bereits in jungen Jahren gesundheitlich angeschlagen, hat sie einen letzten Traum: sie möchte Vizepräsidentin werden. Sie bemerkt jedoch selbst, dass sie längst an Ansehen verloren hat und tritt von Krankheit gezeichnet, von allen ihren politischen Ämtern zurück. Mit dem Tod kommt dann auch bei ihr die Einsicht, dass sie sich ihre Kräfte besser hätte einteilen sollen und dass sie sich vieles selbst zuzuschreiben hat. Ches Erzählung endet, womit sie begonnen hat: Evitas Tod.
Andrew Lloyd Webber fasst dies in folgendem Zitat zusammen:
„Eva Perón war eine Extremistin mit einem außergewöhnlichen Charisma. Und obwohl sie kein Mensch war, den jemand mit dem Drang nach individueller Freiheit akzeptieren würde, kann man nicht leugnen, dass sie eine gewaltige Anziehungskraft auf äußerst viele Menschen ausübte.“
Bettina Mönch, die den Besuchern des Bonner Opernhauses ja bereits aus der letzten Spielzeit als Audrey im Kleinen Horrorladen bekannt sein dürfte, ist als Evita glänzend besetzt. Sie überzeugt nicht nur durch ihre klare Stimme, sondern auch durch ihre facettenreiche Darstellung der Person Eva Pèron. Die schillernde Persönlichkeit, die die Öffentlichkeit mit ihrem Charme verzaubert nimmt man ihr genauso ab, wie die zerbrechliche, vom Tod gezeichnete Eva.
Überhaupt sind die Darsteller das ganze Stück über sehr präsent.Viele Kostümwechsel finden, geschickt in das Stück integriert, auf der Bühne statt, sodass diese von den Protagonisten gar nicht verlassen werden muss. Die große, sich mittig befindliche und zu 3 Seiten begehbare Treppe wird als Dreh- und Angelpunkt des Stückes genutzt. Die ansonsten gar nicht so üppig eingesetzten Requisiten vermisst man trotzdem nicht. Die sängerstarken Mitglieder des Opern- und des Kinder- und Jugendchors, die meist das Volk darstellen, unterstützen nicht nur die Solisten stimmgewaltig, sondern sorgen auch dafür, dass das Bühnenbild abwechslungsreich, jedoch nicht überladen wirkt.
Mit Che hat Gil Mehmert für David Jakobs einmal mehr eine zu 100% passende Rolle für ihn gefunden. War er bereits als Judas in Jesus Christ Superstar in Bonn und Dortmund sehr gut besetzt, passt seine kräftige Rockstimme perfekt in das Stück. Seine authentische Darstellung des Che ist absolut sehenswert. Ist er gerade noch zynisch und wütend, wandelt sich seine Stimmung im nächsten Augenblick in Enttäuschung darüber wie Evita das Volk blendet.
Mark Weigel, als Juan Perón, schafft es ebenfalls mühelos seine Rolle auszufüllen. Obwohl er sich gegenüber seiner Frau Eva eher im Hintergrund hält, ist er dennoch nicht weniger präsent auf der Bühne.
Man vergisst beinahe den doch ernsthafteren Hintergrund des Musicals, so ziehen die Darsteller die Zuschauer in ihren Bann.
Dass man in Bonn alles richtig gemacht hat, zeigen die nicht enden wollenden Standing Ovations am Schluß einer sehr gelungen Premiere.
Fazit: In jedem Fall anschauen. Es gibt noch zahlreiche Termine. Diese und Tickets sind zu finden unter: http://www.theater-bonn.de/