…mehr als nur ein Musical – „Ein wenig Farbe“ mit Mark Seibert

(c) Iris Hamann

Neu ist dieses Stück nicht. Mit „Ein wenig Farbe“ hat Komponist und Autor Rory Six sich bereits 2018 an all die Nuancen zwischen ja und nein, schwarz und weiß, männlich und weiblich gewagt. Damals wurde es in Wien, in den ehemaligen Räumen der Theatercouch mit Musical-Ikone Pia Douwes in der Rolle der Helena, uraufgeführt. Seitdem spielte und spielt es in zahlreichen kleinen Theatern immer wieder einmal. Auf die große Bühne hat es das Stück bisher allerdings nicht geschafft. Doch dort gehört es auch eigentlich nicht hin. Allerdings keinesfalls, weil es das nicht wert wäre, sondern vielmehr, weil es von der Intimität und der Nähe zum Publikum lebt.

Mit Mark Seibert tritt nun nicht nur eine vielseitige Musicalgröße in die Fußstapfen von Pia Douwes und Komponist Six persönlich, sondern auch ein Mann, den man auf den ersten Blick nicht in einer solch vielschichtigen und deutlich femininen Rolle sieht.

Das Thema Transsexualität und der Weg zur eigenen Identifikation, welches „Ein wenig Farbe“ aufgreift, ist wahrlich kein leichtes für ein Musical. Böse Stimmen glauben gar, dass dieses Thema überhaupt nichts im Bereich der Unterhaltung verloren hat. Auch wenn der Blick darauf sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt hat, wurde im Vorfeld bereits deutliche Kritik an der Besetzung aus den Reihen, derer die selbst aus der Theaterbranche kommen und diese Wandlung erfahren haben, laut. Eine Person, die selbst dem Zwiespalt der Transition niemals ausgeliefert war, würde eine solche Rolle nicht gekonnt umsetzen können, so der Tenor.

Kritik ist wichtig und richtig, wenn sie konstruktiv und an passender Stelle angebracht wird. Kritik im Vorfeld ist schlichtweg unnötig, wenig reflektiert und wirkt intolerant. Ist das aber nicht genau das, um was es in dem Stück geht? Toleranz? Allen gegenüber, die eben nicht „der Norm“ entsprechen, ganz gleich aus welchem Grund.

Rory Six und Mark Seibert, der auch den Part des Co-Produzenten übernimmt, gehen höchst sensibel mit dem Inhalt der Geschichte um. Das Stück wirbt um Verständnis und Aufklärung für diejenigen, deren „Anders sein“ von der Gesellschaft nicht klaglos akzeptiert wird. Es wird niemand an den Pranger gestellt oder gar verlacht. Das Gegenteil ist der Fall.

Der Zuschauer wird auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle in eine Welt mitgenommen, die vielen vielleicht fremd erscheint; und doch gibt es sie. Überall. „Ein wenig Farbe“ erzählt die Geschichte von Klaus, der von Kindesbeinen an seine wahren Gefühle verstecken muss, nur aus Angst andere zu verletzen und nicht mehr akzeptiert zu werden. Auf Klaus‘ Weg, endlich als Helena, die schon immer ein Teil von ihm war, leben zu können, wird er von zahlreichen Personen begleitet, die allesamt von einem einzigen Darsteller, nämlich Mark Seibert dargestellt werden..

(c) Iris Hamann

In dem kleinen, beschaulichen Theater am Spittelberg trennt das Auditorium nur 2 Stufen von der Bühne, auf welcher Mark einen Regenbogen der Emotionen über die Anwesenden spannt. Jeder einzelnen Figur haucht er ein solches Leben ein, dass selbst, wenn man ohne jegliches Wissen, um was es in diesem Stück geht, problemlos zuordnen kann, wer gerade vor einem steht. Mitreißend, komödiantisch, karikaristisch, dramatisch… die Liste könnte zweifellos noch um vieles erweitert werden. All dies erfährt das Publikum innerhalb von gut 2 Stunden in nur einer Vorstellung. Im Zuschauerraum, kann man gleich nach herzhaftem Lachen, verschämt hervorgesuchte Taschentücher entdecken. Schmunzeln weicht gleich wieder der Ernsthaftigkeit. Das Zusammenspiel der Darstellung Seiberts, begleitet von einem kleinen, aber feinen Orchester die Rorys wunderbare Musik in den Raum transportieren, kann nicht anders als Emotionen wecken. Schlichtweg ganz großes Kino.

Wie Mark über das Stück und die Figur Helena denkt, diese Fragen hat er uns gern in einem Gespräch beantwortet und seine persönlichen Eindrücke geschildert:

Wie bist Du auf das Stück aufmerksam geworden?

Vor einiger Zeit, das war nach Corona, sprach Andreas Luketa mich einmal an und erzählte mir vom dem Stück „Ein wenig Farbe“. Ich hatte zwar davon gehört, aber es nicht gesehen, als Pia in Wien gespielt hat. Er schickte mir das Material dazu und plante, dies eventuell mit Rory zusammen zu produzieren und mich für die Rolle zu engagieren. Insofern habe ich mich dann mit dem Stück beschäftigt und fand es fantastisch. Die Musik, die Geschichte… Ich war mir allerdings, ganz ehrlich noch nicht sicher, ob das wirklich zu mir passt, oder ob die Rolle besser von einem so ein ganz androgynen Schauspielkollegen übernommen werden sollte oder sogar wieder von einer Frau. Ich muss gestehen, dass ich es spannender finde und auch der Konflikt klarer wird, wenn es von einem Mann gespielt wird.“

Das ist ja nun auch schon eine ganze Weile her…

Das Ganze ist aus terminlichen Gründen meinerseits jedoch wieder eingeschlafen. Fast 2 Jahre später hat mich Rory noch einmal angesprochen und gefragt, ob ich Interesse hätte, weil er das Stück noch einmal angehen möchte. Ich habe ihm daraufhin vorgeschlagen, es gemeinsam zu produzieren. Ich war ohnehin schon länger auf der Suche nach einem kleinen, beschaulichen Stück, welches ich neben all den Konzerten, die ich inzwischen produzieren und / oder konzipieren durfte, mit in mein Repertoire aufnehmen könnte.

Daraufhin habe ihm dann das Theater am Spittelberg vorgeschlagen, welches ich kannte. Im Endeffekt hat es sich ja auch bewahrheitet, dass es eine sehr schöne und sehr passende Location für das Stück ist.

So ist das Ganze entstanden und es macht wahnsinnig Spaß. Meine Zweifel, die ich anfangs mit der Rolle hatte, haben sich nicht bestätigt, denn Klaus, die Hauptfigur, bzw. Helena, aber anfangs eben noch Klaus, ist mir als Mark zumindest äußerlich gesehen gar nicht so unähnlich. …Mitte 40, 2 Kinder, erfolgreich in seinem Beruf und eigentlich alle Attribute, die man so hat als Mann. Genau das macht den Konflikt sogar noch größer, finde ich.“

(c) Iris Hamann

Was hat den Ausschlag gegeben diese Rolle zu übernehmen?

Ganz einfach. Wenn mich etwas wahnsinnig berührt – und das tut „Ein wenig Farbe“ – bekomme ich Lust das Ganze zu spielen und andere Menschen damit zu berühren. Es gibt so viele Momente in dem Stück, die Emotionen wecken, nicht nur die dramatischen, sondern auch die komödiantischen. Vor allem aber natürlch die dramatischen, wo man wirklich mit der Hautpfigur mitfiebert und mitleidet. Genau das, finde ich, ist Rory in dem Buch einfach so wunderbar gelungen, dass man sich als Schauspieler dort nur „reinsetzten“ muss und das Stück schon erfüllt.“

 

Wie hast Du Dir die einzelnen Personen erarbeitet, damit wirklich jeder der verschiedenen Charaktere seine eigene Note bekommt?

Eigentlich gar nicht. Das ist keine große Hexerei, wenn ich ganz ehrlich bin. Ich lese den Text und nutze, was mir spontan in den Kopf kommt – wobei mir das Eine oder Andere von Rory schon als Idee weitergegeben wurde. Den holländischen Akzent von Rob, der Dragqueen aus dem Club, hat er einmal etabliert. Diese Figur ist irgendwie lustig und sehr passend für diese Rolle. Wir hätten es auch ganz anders machen können. Die Idee, die Arbeitgeberin beim sogenannten Showdown am Ende als eine Amerikanerin darzustellen, kam dann zum Beispiel von mir. Ich weiß nicht warum, aber instinktiv dachte ich, dass diese Person für mich so redet, die freundlich aber sehr zugeknöpft die Absage des Jobs erteilt.

Selbstverständlich gibt es im Gegensatz dazu auch Figuren, die nicht ganz so „cartoonistisch“ sag ich jetzt mal, sind. Die müssen sehr ehrlich sein. Wie der Sohn, die Ehefrau und natürlich allen voran Helena. Dort passt es nicht, irgendetwas komödiantisches draufzulegen.“

(c) Iris Hamann

Üblicherweise liegt bei einer Rolle ja das Geschlecht von vornherein fest. Hier wurde sie ja bereits von einer Frau gespielt, jetzt hast Du sie übernommen. Aus welcher Perspektive glaubst Du ist die Rolle „leichter“ umzusetzen?

Wie ich eben schon angedeutet habe, haben Klaus und ich sehr große Parallelen. Ich finde, dass die Dramatik dieses Identifikationsproblems am brutalsten wird, wenn da jemand auf der Bühne steht, der nicht viel Weibliches hat. Nicht, weil man diese Person vorführen möchte, aber es wird deutlicher. Wenn ich eine sehr androgyne oder feminine Person – egal ob es sich jetzt um einen Mann oder eine Frau handelt, nur einfach eine feminine Person – auf der Bühne stehen habe, die zu Helena wird, dann meine ich, tritt die Problematik nicht richtig hervor. Deswegen finde ich es, aber das ist meine persönliche Meinung, viel dramatischer, wenn da jemand steht, der gar nicht viel Weiblichkeit ausstrahlt.“

(c) Iris Hamann

Wie wärst Du als Mark damit umgegangen, wenn Dein Vater sich nach vielen Jahren als Familienvater dazu bekannt hätte, fortan lieber als Frau leben zu wollen? Toleranz sagt sich leicht, meinst Du wenn man selbst betroffen ist, dass man die noch aufbringen kann?

Ich will mich da überhaupt nicht besser machen als andere Menschen oder die Gesellschaft. Es wäre für mich ein absoluter Schock gewesen, eine absolute Dramatik. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagiert hätte. Ich denke, dass ich durch meinen Beruf schon ein kleines bisschen offener in meinen Gedanken bin, Dinge nicht zu engstirnig sehe und auch eine nötige Toleranz mitbringe. Trotzdem ist es immer die große Frage, wenn es das eigene Leben betrifft, ob man diese Toleranz dann noch umsetzen kann. Ich kann es nicht wirklich beantworten. So toll ich das Stück und die Geschichte finde, muss ich sagen, bin ich aber auch sehr froh darum, dass ich nicht direkt mit der Thematik konfrontiert bin, weil es wirlich viel Schmerz, viel Überwindung, viel Ablehnung und viel Diskriminierung für alle Beteiligten mit sich bringt – sowohl für die Betroffenen selbst, als auch für die Angehörigen. Ich bin deshalb wirklich sehr glücklich, dass diese Geschichte, die ich auf der Bühne spielen darf und mir wahnsinnig viel Spaß macht, nicht meine ist.“

Einen Schlusssatz, welcher zum Nachdenken anregt, gibt uns Mark Seibert noch mit auf den Weg. „Dieses Musical ist zeitlos, es wird nie an Aktualität verlieren. Bleibt die Hoffnung, dass es eines Tages nicht mehr nötig sein wird, das einzige Leben, welches wir haben mit Zweifeln, Ängsten und falscher Rücksicht nur der Gesellschaft wegen, nicht so zu leben wie wir es uns wünschen.“