Als Musical-Darsteller Mark Seibert 2016 erstmals in die Rolle des geheimnisvollen Grafen von Krolock schlüpfte, ahnte auch er nicht, wie lange sie ihn begleiten würde. Nach seinem Debüt in Berlin zog er in den Folgejahren immer mal wieder für ein paar Wochen zurück ins Grafenschloss. Neben Wien, Stuttgart und zuletzt in Köln, machte er sogar in St. Petersburg für einige Shows Station, um sich dort der besonderen Herausforderung zu stellen, seine Rolle auf Deutsch zu präsentieren, währenddessen alle anderen Darsteller auf Russisch sangen. Anfang Januar 2019 wird er nun erneut für fünf Vorstellungen dort zu sehen sein. Kaum ein anderes Musical wie „Tanz der Vampire“ und besonders die Figur des Grafen von Krolock, bietet offensichtlich einen so weiten Raum für Meinungen und Fantasien unter den Zuschauern.
Neue Besetzungen treten jedes Mal wiederholt heiße Diskussionen um den besagten „Lieblingsgrafen“ los, die zeitweise auch den sachlichen Boden verlassen und zuletzt ebenfalls nicht mehr wirklich zur Unterhaltung beitragen. Jeder Darsteller, der diese Rolle annimmt, ist sich dieser Situation bewusst. Für viele bleibt es dennoch eine Traumrolle, die den persönlichen Werdegang bereichern. Mark Seibert würde für sich, wie er erklärt, den Grafen gar nicht unbedingt als „Traumrolle“ bezeichnen, sondern vielmehr als eine neue Herausforderung, den Übergang in ein neues Bühnenfach zu schaffen. „Damals war ich ja noch relativ jung für die Rolle und da hat es mich sehr gefreut, dass ich die Zusage dafür bekommen habe“, meint er dazu. „Mein Plan war eher – und das war die theoretische Überlegung – dass ich über Rollen wie zum Beispiel den Colloredo bei Mozart, ein bisschen in diesen Bereich reinkomme. Das ist dann tatsächlich aufgegangen. Ich habe mir damals, ehrlich gesagt, nicht erträumt und auch wirklich nicht erhofft, dass mich das so lange begleiten wird. Außerdem weiß man ja auch nie wie lange so eine Show überhaupt läuft, denn wenn dem nicht so ist, kann man sie ja logischerweise auch nicht mehr spielen“
Wenn man seinen Ausführungen weiter folgt, stellt man schnell fest, dass, zumindest für ihn, auch hinter sogenannten „Traumrollen“ ein ganz normaler beruflicher Gedanke steckt. Sicherlich ist das nicht immer bis ins kleinste Detail planbar, aber das ist vermutlich auch nicht gewollt. Schließlich ist sind es die immer neuen Herausforderungen und die Abwechslung, die diesen Beruf spannend halten. „Wenn dann so Abenteuer wie Russland dazu kommt, ist das nochmal eine ganz andere Sache. Das hat mich überrascht und das habe ich damals natürlich nicht einkalkulieren können„ gibt er zu „was ich schon einkalkuliert habe ist – und der Plan ist auch aufgegangen – ich wusste damals schon, dass ‚Tanz der Vampire‘ wieder nach Wien gehen wird. Somit war das zu dem Zeitpunkt für mich tatsächlich auch eine strategische Entscheidung, vielleicht zu versuchen über die Tour in den Pool rein zukommen. Das hat ja dann auch geklappt. Wie man sieht, ist das Ganze manchmal auch ein bisschen Strategie“ lacht er.
Aber natürlich geht es bei dieser Rolle nicht nur um die rein berufliche oder wirtschaftliche Seite. Der Spaß daran, die Rolle zu übernehmen, spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Doch was genau macht diese Faszination aus? Würde man als Darsteller etwas an der Rolle ändern, wenn man könnte? Mark Seibert meint dazu: „Ich merke, dass sie mich als Darsteller fordert. Ich darf an der Rolle wachsen und bin es auch schon. Das macht mir schon viel Spaß“, erklärt er. „Es ist jetzt nicht bei jeder Rolle so, dass man sich daran weiterentwickelt oder sie einen weiter nach vorne bringt. Ich weiß nicht wie es meinen Kollegen damit geht, aber es ist komischerweise für mich auch kein Spaziergang. Selbst wenn ich nicht viel auf der Bühne bin, aber die Momente, die ich dort habe, fordern ziemlich. Also wenn ich nach so einer Doppelshow nach Hause gehe, dann weiß ich trotz allem was ich getan habe. Das hängt natürlich auch mit der Maske zusammen, mit diesen Kostümen, mit all dem Ganzen, was auch Energie kostet – so blöd das klingt. Aber es macht Spaß zu spielen und diese Pausen zwischendurch tun gut!“
Bei dem Thema Maske drängt sich unweigerlich der Punkt „Vampir-Zähne“ auf, die keinen unwesentlichen Anteil haben. Im Laufe der Zeit konnte man immer wieder feststellen, dass viele der Herren Grafen Mühe damit hatten. Im Gegensatz zu seinen Kollegen scheint das bei Mark Seibert augenscheinlich nicht der Fall zu sein. Den Grund dafür verrät er allerdings nicht. „Dann wäre es ja kein Geheimnis mehr“, argumentiert er zu Recht. Dennoch räumt er ein, dass er ein bisschen bei der Gestaltung der Zähne des Blutsaugers mitgeredet und sich das bewährt hat. „Ansonsten ist es ein bisschen üben, es ist eben doch ein Fremdkörper. Man merkt es schon zwischen den Szenen, wo ich die Vampir-Zähne drin habe und den Szenen, wo ich eben keine habe. Das ist dann schon ein viel befreiteres Gefühl. Aber das ist auch wieder so ein Vehikel, ähnlich wie bei den Kostümen. So schön das ist, manchmal nervt es auch. Es engt eben auch ein. Das sind Dinge die erfordern Energie und das merkt man am Ende des Tages schon, aber mit den Zähnen habe ich tatsächlich ein ganz gutes System gefunden und ich hatte damals Glück, dass ich einen recht guten Zahntechniker hatte. Mittlerweile wird das von einem Gebiss zum anderen übernommen. Inzwischen sind schon zwei durch. Die halten eben nicht für die Ewigkeit.“
Beim dem Stichwort „Ewigkeit“ fällt einem ‚Tanz der Vampire‘-Kenner sogleich die Szene im Stück ein wo die Vampire aus ihren Gräbern kriechen um ihre Unsterblichkeit zu beklagen. Viele Theorien, manchmal auch äußerst skurrile, wen die einzelnen Untoten darstellen sollen, kursieren in den einschlägigen Foren. In dem Zusammenhang wird oft versucht zu ergründen, wer denn die Mutter von Graf von Krolock’s Sohn Herbert sein könne. Seibert hat sich darüber bisher keinerlei Gedanken gemacht. „Ich beschränke mich auch tatsächlich bei den Shows, und das ist jetzt ganz unschauspielerhaft, auf die Dinge worüber ich mir Gedanken machen muss“, gibt er zu. „Über die Dinge, die man erklären kann. Man hat ja auch in der Ausbildung gelernt, sich mit der Rolle auseinanderzusetzen und sich Theorien zu bauen. Das ist eine gute Schauspielübung, aber ich muss ganz ehrlich gestehen, für’s Handwerk braucht man das meiner Meinung nach nicht. Ein guter Schauspieler baut sich die Situationen, in dem Moment wo er sie spielt, zusammen. Ob ich jetzt besser spielen würde, wenn ich mir als Krolock einen kompletten Lebenslauf zusammengeschrieben hätte, wer er mal war… wann er von wem gebissen wurde… wer die Mutter von Herbert ist… ob Herbert überhaupt sein Sohn ist… Wie alt er war… Ob ich deswegen eine bessere Show spielen würde? Ich glaube es fast nicht. Da bin ich jetzt leider sehr pragmatisch.“
Jedoch auch wenn Seibert keinen lückenlosen Lebenslauf der Figuren für notwendig hält, so hat er sich dennoch, zumindest ein wenig, eingehender mit ’seinem‘ Grafen beschäftigt. Wenn man einer Figur durch sein Schauspiel Leben einzuhauchen versucht, ist es schließlich nicht ganz unbedeutend, wie diese auf der Bühne wirkt. Es ist auch nicht so einfach zu erklären, was der Graf vielleicht für ein „Mensch“ gewesen ist oder welche Charaktereigenschaften man ihm zuschreiben würde. „So wie ich ihn sehe, und das sieht man meinem Grafen von Krolock auch vielleicht ein bisschen an, ist es für mich ganz wichtig, dass er zum Adel gehört hat. Auch als er noch Mensch war. Vermutlich war das damals tatsächlich sein Schloss. Ich weiß es nicht genau. Auf jeden Fall hat er zur Upper Class gehört und ich möchte, dass es sich in dem Vampir noch widerspiegelt. Natürlich ein bisschen angestaubter, ein bisschen morbider, aber im Großen und Ganzen möchte ich gerne den Gestus eines Adeligen irgendwie auch in dem Grafen von Krolock sehen“, versucht Seibert die Figur zu analysieren. „Er ist auch ein bisschen Tier, wenn die unstillbare Gier so ein wenig aus ihm herauskommt. Nichtsdestotrotz ist er in erster Linie, finde ich, ein Graf; in gewisser Weise auch ein Gentleman. Er zelebriert das Ganze. Dass er sich Sarah quasi für den Ball aufhebt, ist von ihm wohlüberlegt. Er hätte sie ja auch vorher schon beißen können. Er ist jetzt nicht nur das Tier, sondern an der Stelle auch ein bisschen der Edelmann. Das finde ich, sollte man ihm ansehen. Das versuche ich, in meine Interpretation einfließen zu lassen. Über den Gestus, über die Sprache, die sehr gewählt ist und wie elegant er sich verhält. So stelle ich mir ihn vor.“
Auch nach 20 Jahren auf internationalen Bühnen sorgt die Figur des Grafen von Krolock noch immer für Gesprächsstoff. Vielleicht ist auch genau das ein Teil des Geheimnis des Erfolges, das Spannende daran, dass jeder Darsteller den Untoten anders spielt. Mark Seibert hatte, bevor er die Rolle übernahm, selbstverständlich Vorgänger, von denen er sich einige auch angeschaut hat. „Das eine oder andere hat mir auch sehr gut gefallen, manches wiederum sehe ich ein bisschen anders“ meint er dazu. „Ich sehe in der Rolle tatsächlich keine Komik, obwohl ich Komik auf der Bühne liebe. Ob bei ‚Schikaneder‘, beim ‚Schuh des Manitu‘ oder meinetwegen auch als Galileo bei ‚We will rock you‘. Ich liebe Komik und spiele das auch total gerne, aber in dieser Rolle muss ich ganz ehrlich sagen: In der Show ja, aber nicht in dieser Rolle. Die Komik spielen andere.“ Dazu fallen ihm auch gleich ein paar Namen ein. „Koukol, Professor Abronsius, Chagall, auch Alfred, allen voran Herbert… eigentlich haben fast alle komische Elemente. Bei dem Grafen, muss ich ganz ehrlich sagen, sehe ich es nicht. Das ist das, wo ich am ehesten Schwierigkeiten hatte, als ich mir hier und da Kollegen angeschaut habe. Ich muss keine Lacher kriegen als Krolock. Ich finde, das Buch gibt das nicht her. Aber wie immer im Leben ist es reine Geschmacks- oder Interpretationssache.“ räumt er ein.
Untote haben die Menschheit schon immer fasziniert, Graf von Krolock macht dabei keine Ausnahme. Auch er lebt im Stück, wenn auch möglicherweise ungewollt, weiter. Viele glauben auch im wahren Leben an eine Existenz nach dem Tod. Seibert hat dazu noch keine abschließende Meinung. „Das habe ich für mich noch nicht so ganz erörtert, wenn ich ganz ehrlich bin.“ gibt er nach einiger Überlegung zu. „Ich hatte bisher das große Glück, dass ich, obwohl ich auch keine 22 mehr bin, in meinem Bekannten-, Familien- oder Freundeskreis noch keine großen Berührungen mit dem Tod. Insofern bin ich noch nicht gezwungen worden, mir meine Gedanken darüber zu machen. Ich glaube, wenn man einen engen Menschen verliert, dann macht man das automatisch. Man fragt sich: ‚Wo ist er jetzt?‘ Da baut man sich dann seine Theorie zusammen. Ich glaube, bis der Tag bei mir kommt, wo ich mit der Situation konfrontiert werde, werde ich mit diesem Unwissen – das heißt Wissen ist das ja nie, es ist ja immer nur eine Theorie, die man für sich entwickelt – leben, auch ganz gut leben. Doch wenn der Tag einmal kommt, dann werde ich wahrscheinlich auch an irgendetwas glauben…“