Im Februar dieses Jahres startete das Wolfgang Petry Musical „DAS IST WAHNSINN“ im Theater am Marientor in Duisburg nach seiner Welturaufführung so richtig durch. Seit dem durfte es bereits in vielen Städten zu Gast sein. Nach einer kurzen Pause geht die Tour, die den Cast kreuz und quer durch die Republik führt, nun weiter. Ab dem 25. Dezember 2018 versucht Peter weiterhin seine Sabine zurückzugewinnen, Gabi und Karsten haben ihre liebe Not mit Sohn Tobi und dessen großer Liebe Gianna und Wolf trauert seiner großen Urlaubsliebe Jessica nach. Ob es allen gelingt, eine Lösung für ihre großen und kleinen Probleme zu finden, davon können und sollten sich die Zuschauer selbst überzeugen.
„Wahnsinn – Das Musical mit den Hits von Wolfgang Petry ist nämlich keine Show, in der es um Wolfgang Petry geht, wie man fälschlicherweise annehmen könnte; genauso wenig wie „We will rock you“ eine ist, in der es um Freddy Mercury oder Queen geht, erklärt Gil Mehmert, der als Regisseur das Stück gemeinsam mit dem Kreativteam um Martin Lingnau (Autor, Creative Producer und Arrangeur) und Heiko Wohlgemuth (Autor) inszeniert.
„Es geht hier darum, den Kosmos und all die Themen, die Wolfgang Petry besungen hat, in eine Geschichte zu bringen und damit die Leute zu Hause abzuholen“ führt er weiter aus. „Ein zweites wichtiges Merkmal dieser Show ist, dass viele Musicals an exotischen, originellen, oft auch an reichen Orten spielen; unter Menschen, die in ganz besonderen Situationen leben, weil sie Filmstars, Katzen oder andere Dschungeltiere sind. Das alles ist bei „DAS IST WAHNSINN“ nicht so. Das holt die Leute wirklich zu Hause ab; so wie Wolfgang Petry es auch geschafft hat, unglaublich authentisch und bodenständig zu sein und so die Stadien zu füllen. Natürlich sind viele Themen aus dem Wolfgang Petry Kosmos vertreten, so zum Beispiel hat er immer Wert darauf gelegt, dass bei Konzerten die Dixi-Toiletten ordentlich positioniert sind.“ Diese Einzelheiten finden sich auch im Gesamtbild später auf der Bühne wieder.
Genauso wurden die Namen der handelnden Personen nicht zufällig gewählt „Der ursprüngliche Name Petrys, Karsten Remling, ist ebenfalls vertreten. Lauter solche Motive aus seinem Werk finden Insider dort. Wer kein Insider ist, wird nicht darunter leiden, ihm wird sich trotzdem die Geschichte erschließen“, ist sich Mehmert sicher.
Die Geschichte startet im Ruhrgebiet, weil es natürlich auch den Song dazu gibt: ‚Wir sind das Ruhrgebiet‘. Daraus resultiert dann meist die Frage: Funktioniert das auch in Berlin? In München doch bestimmt nicht, oder? Den Zweiflern darf gesagt werden: auch dort wird gern mit dem Song dem Ruhrgebiet gehuldigt.
„Dort also beginnt die Geschichte in einer Kneipe. Es kommen insgesamt vier verschiedene Paare in unterschiedlichen Konstellationen zusammen, die sich alle in unterschiedlichen Stadien ihrer Liebesbeziehung befinden. Ein ganz junges Paar lernt sich frisch kennen und ist somit erst am Anfang seiner Liebe. Ein Paar, das mitten in ihrer Liebe ein wenig steckengeblieben ist – Eltern des Sohnes von dem jungen Paar – der Musiker werden möchte. Der Vater hat dies schon erlebt und ist gescheitert.“ erklärt Gil Mehmert weiter „auch hier wird schon nicht mehr Wolfgang Petrys Karriere verfolgt, sondern wir haben einen Rockmusiker in der Show der einen One Hit hatte. Das ist bei uns der Song ‚Sommer in der Stadt‘.
Dann haben wir ein weiteres Paar. Dieses steht am Ende ihrer Liebe. Der Lastwagenfahrer oder Speditionsbesitzer Peter, dessen Frau Sabine gleich zu Beginn der Show die Scheidung einreicht, weil sie endgültig genug davon hat, dass man gar nicht mehr liebt, gar nicht mehr lebt und auch gar nichts mehr zusammen macht. Natürlich geht es dann auch in der Show damit weiter, wie jeder um den anderen kämpft.“
Die vierte Situation ist ein Paar mit einer nicht, oder noch nicht gelebten Liebe, das sich vor über 20 Jahren im Urlaub kennengelernt und damals große Pläne gemacht hatte, die dann doch nicht eingetreten sind. Von dieser Sehnsucht, ob dies nochmal etwas werden kann, handelt es ebenfalls.
Weiter berichtet Mehmert „die Namen der Protagonisten sind auch so verteilt, dass sie auch dem Petry-Kosmos gerecht werden. Es gibt Figurennamen, die natürlich an die Songs angelehnt sind. Es gibt eine Sabine, es gibt eine Gianna, es gibt eine Jessica und wir haben später sogar einen Part, wo Songs mit einander verwoben sind, kanonisch, fast schon wie ein Potpourri oder wie eine Fuge, wo die Mädchennamen, die Wolfgang Petry schon besungen hat, ineinandergeflochten sind. Das passiert in einer Therapiesitzung, in der alle einmal über ihre Verflossenen reden dürfen und das übereinander tun.“
In der Heimat sind sich die Figuren selber und ihrem Partner fremd geworden; da ist es immer gut einmal wegzufahren, deswegen landen alle auf einer mediterranen spanischen Fantasiesinsel Bahia del Sol. „Das war uns auch wichtig, dass dies nicht Mallorca ist, auch deshalb, weil wir den Ehrgeiz hatten, nicht in eine Ballermann-Ecke zu geraten. Das ganze Stück war, glaube ich, sowohl für viele von uns, auch für uns Macher, überraschend. Jeder der hörte, dass es ein Wolfgang Petry Musical werden sollte, hatte erst mal Berührungsängste. Ich kann das auch für mich nicht leugnen“ gibt Mehmert zu, „an dieser Stelle flechte ich auch ganz gerne mal ein: ja, ich habe auch schon die eine andere große Oper von Mozart inszeniert… und dann mache ich was mit Wolfgang Petry? Das ist manchmal schwierig für einige zu verstehen, aber es war für uns alle ein großes ‚Aha-Erlebnis‘. Es war allen bekannt, dass es in Stadien große Petry-Konzerte gab und die Massen dorthin pilgerten, aber von den Mitwirkenden, die ja vom Musical kommen, ist keiner jemals auf einem solchen Konzert gewesen. Auch hier gab es Berührungsängste. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass die alten großen Schlagerhits von Wolfgang Petry vom Stil und von den Arrangements dem Geschmack ihrer Zeit geschuldet sind. Bei uns ist alles etwas moderner, rockiger. Wir haben mit der Musik sehr viel angestellt, wozu Petry uns selbst ermutigt hat.“
„Einer der Höhepunkte im Zusammenhang mit der Show“ führt Mehmert weiter aus, „ist Wolfgang Petry kennengelernt zu haben. Er ist ein so besonderer, angenehmer, uneitler, Künstler und Mensch, dass es alle sehr bewegt hat, dass jemand als so erfolgreicher Interpret, soviel Wert darauf legt, im Hintergrund zu bleiben. Er hat sich eingebracht in die Show. Er hat uns animiert noch frecher mit der Musik umzugehen. Es hat ihm immer sehr gefallen, wenn die Arrangements ganz überraschend waren, wenn es eine andere Stilistik gab, wenn das Tempo, der Charakter anders war und was natürlich das Wichtigste und auch Schwierigste für die Autoren gewesen ist – ich habe es erwähnt, es sind ja vier Paare – dass die Petry Songs alle sehr monothematisch sind. Martin Lingnau, einer der Autoren, beschreibt es immer so: ‚Da ist ein Typ, der hat Scheiße gebaut, der singt darüber und versucht es irgendwie wieder hinzukriegen und sich auf jeden Fall zu entschuldigen.‘
Dennoch ist es den Autoren zweifelsohne gelungen diese monothematischen Songs auf die Figuren aufzuteilen. Soloparts, jedoch auch verschiedene Lieder die zu Duetten oder zu Musical- Ensemblenummern wurden. Die Songs wurden gekonnt so zusammengestellt, dass man als Zuschauer nicht das Gefühl hat, eine Wolfgang Petry Revue zu sehen, sondern eine Geschichte erzählt zu bekommen.
Wie auch die Darsteller konnte sich Wolfgang Petry anfänglich nicht wirklich vorstellen, wie man die Songs zu einem Theaterabend zusammenfassen könnte. Dennoch stand er der Idee von Dieter Semmelmann, der früher auch die großen Konzerte von Petry organisiert hat sehr wohlwollend, aber auch positiv misstrauisch, entgegen. Er hat das Ganze dann aus der Ferne verfolgt und war nach den ersten Gesprächen genauso positiv überrascht und bewegt.
„Für uns war das natürlich toll, dass wir ihn so erreichen konnten. Er hat sich immer mehr zurückgehalten, wollte uns machen lassen, wollte aber auch nicht zu stark in den Vordergrund geraten“, führt Mehmert weiter aus. „Er ist, glaube ich, auch erst zur 80. Show gekommen. Ganz heimlich hat er sich in Berlin in die Loge geschlichen und ganz plötzlich stand in der vollen Halle am Potsdamer Platz auf der Bühne. Petry, den der eine oder andere ohne seine Matte und sein kariertes Hemd gar nicht erkannt hatte. Dann ist er einfach eingestiegen und hat mit uns gesungen. Das war für alle ein ganz großer Moment.“
„DAS IST WAHNSINN“ ist die Zusammenarbeit mit den Autoren ziemlich eng. Dennoch ist das selbständige Arbeiten und Entwickeln des Stückes im Normalfall Aufgabe des Regisseurs, was nicht heißt, dass beispielsweise ein Dramaturg oder Intendant am Theater keinen Einfluss auf die Inszenierung des Stückes hat. Bedingt dadurch, dass Mehmert und Lingnau sich gut kennen, kommen solche Momente vielleicht schon einmal eher zum Tragen, doch das sieht Mehmert nicht als „Eingriff, sondern als Befruchten“.
Nicht zuletzt hängt eben alles von einem homogenen und sorgfältig ausgewählten Cast ab. Gil Mehmert als Regisseur hat auf diese Auswahl keinen unwesentlichen Einfluss. „Wir haben schon bei einem Workshop so ein bisschen vorweg gecastet, weil wir der Meinung waren, dass einige der Darsteller, mit denen wir schon gearbeitet haben, passen könnten. Hier ist es ja auch schauspielerisch eine große Herausforderung. Musical ist ein Dreikampf. Viele haben ihre Stärken beim Singen oder vielleicht in der Show oder beim Tanzen und natürlich haben viele auch eine schauspielerische Ausbildung, aber da trennt sich für mich auch oft schon so ein bisschen die Spreu vom Weizen, wem ich eine Charakterrolle zutrauen kann. Nach dem Workshop hat sich dies einfach so ergeben. Wir fanden, dass Darsteller gut waren und die Figuren währenddessen sowieso schon entwickelt hatten. Warum dann noch casten?“ Natürlich wurden für weitere Positionen, gerade im Ensemble noch Auditions gemacht.
„Wir haben, was das Wolfgang Petry Werk selbst angeht, einen sehr schönen Bogen gespannt“ ist Mehmert überzeugt „und es sind auch ein paar aktuelle Titel wie ‚Brandneu‘ dabei, wo wir glauben, dass wir auch Petry-Fans noch etwas geben können. Wir empfinden uns selbst als Team und sind wirklich als missionarisch unterwegs für die Songs und für diese Art von Show, die sehr ehrlich ist.“
Ehrlich, rauh und herzlich, so wie das Ruhrgebiet, so ist auch „DAS IST WAHNSINN“ „Es war tatsächlich so ein bisschen als Ruhrgebietsprojekt geplant“ erläutert Mehmert „es hat ja auch lange dort gespielt. Seit Les Misérables zugemacht hat, was ja schon Jahrzehnte her ist, wurde auch nie mehr ein Stück so lange hintereinander in Duisburg aufgeführt. Die Region, das Theater zu beleben, etwas über diese Menschen zu erzählen, das war mir schon ein Anliegen“.
Dies mit einer Welturaufführung zu tun ist ein großer Schritt, bei dem man nie voraussehen kann, ob das Publikum dorthin mitgeht. Bei schon dagewesenen Musicals sind die Erwartungen sicher nicht geringer, jedoch gewiss andere. Gil Mehmert sieht es als Herausforderung, als Chance, etwas ganz Neues zu erschaffen, obwohl manchmal „das Rad neu zu erfinden“ sicher die größere Herausforderung ist. „Das Publikum erwartet, wenn man am Stadttheater beispielsweise Westside Story, Evita oder Hair macht, dass man bestimmte optische Klischees erfüllt. Das ist manchmal schwieriger genau diesen Grat zu finden – etwas Neues einzubringen und dennoch niemanden verprellen zu wollen.
Schaut man sich den einen oder anderen Kollegen hierzulande an, stellt man öfters fest, dass die Inszenierung eine Kopie vom Broadway ist, eben nur mit dem Etat eines Stadttheaters. Dazu habe ich für mich einfach den Anspruch, nicht zu klauen und auf keinen Fall zu kopieren. Das ist mein Berufsethos.
Wenn man eine Uraufführung macht, gibt es das Vorbild nicht, aber natürlich ist man immer bereit, Einfluss von anderen Shows und von anderen Dingen zu nehmen. Man überlegt schnell: Was hat denn gerade Erfolg? Aus der Show, in die gerade alle Leute gehen, müssen wir doch irgendwelche Elemente kopieren. Im Grunde passiert genau das ja auch bei jedem Kinofilm. Ich höre immer auf meinen Bauch, auf mein Herz und versuche, mit Menschen Geschichten zu erzählen. Ich freue mich sehr, wenn die Leute merken, was ich da tue und wie ich die Geschichte erzählen will. Gerade bei DAS IST WAHNSINN macht es aus, wie die Darsteller miteinander spielen, sehr britisch, sehr glaubwürdig, sehr trocken. Wir setzen uns auf keine Pointe blöde obenauf und machen es zu keiner Zeit albern, sondern mit sehr viel Herz“.
Dennoch ist es ein „sehr deutsches“ Musical, ein großer Erfolg im Ausland eher nicht vorstellbar, aber – so wie Gil Mehmert ausführt – auch gar nicht wirklich gewollt. Es ist die Mentalität, die dieses Stück begleitet, die beispielsweise in der Schweiz oder in Österreich gar nicht so zu erklären wäre.
„Ich glaube schon,“ meint Mehmert dazu, „dass Wolfgang Petry ein nationales Phänomen ist und im deutschsprachigen Ausland noch gerade funktioniert, aber da haben wir auch nicht auf den internationalen Markt geschielt, sondern gesagt, lass uns doch mal ein nationales Musical machen. Mit einem deutschen Autor und einem deutschen Komponisten.
Ich kenne das, wenn schon einmal Musicals aus den Niederlanden von Stage Entertainment nach Deutschland kamen. Man hat zwar die gleiche Geschichte genommen, aber unter Umständen die Musik angepasst. Bei ‚Ich will Spaß‘ war die Musik in den Niederlanden zum Beispiel eine andere als in Deutschland. Einfach deshalb, weil dort eine andere Musik funktioniert als hier.“
Anfänglich selbst von den Darstellern mit etwas Skepsis betrachtet, ob so eine Art von Musical denn erfolgreich sein könnte, hat es bisher alle Erwartungen mehr als erfüllt. Schon eine Viertelmillion verkaufter Tickets und rund 10 Millionen Zuschauer insgesamt können sich nicht irren. Da bleibt nur es mit Wolfgang Petrys Worten zu sagen: Das ist Wahnsinn!