Haltung, Haltung, Haltung… kaum ein Song beschreibt die Devise für die Zuschauer wohl so gut, wie dieses Lied aus dem ersten Akt des Stückes. Der Hauptmann von Köpenick, ein bekannter Klassiker und sogar weit über die Grenzen Berlins hinaus. 2015 schließlich fand am Köpenicker Rathaus, eben jenem Schauplatz des bekannten Stückes, die Premiere der Musicalversion statt. Die dritte Spielzeit führt den Hauptmann und sein Gefolge nun im Rahme des SOFA, Sommerfestival im Admiralspalast, nach Berlin Mitte.
Heiko Stang lieferte zum klassischen Stück die Lieder. In Berliner Mundart führt die Inszenierung durch die Geschichte von Schuster Wilhelm Voigt, der als Hauptmann von Köpenick bekannt wurde. Das Stück entführt die Zuschauer mit seinen historischen Kostümen und originalgetreuen Requisiten zurück ins Berlin um die Jahrhundertwende. Wilhelm Voigt (Maximilian Nowka), frisch aus dem Gefängnis entlassen, kehrt in seine alte Heimat zurück. Er würde gerne arbeiten und ein rechtschaffender Bürger werden, aber die Bürokratie steht ihm dabei im Weg. Sein Kampf gegen die Mühlen von Staat und Gesetz bringen ihn schlussendlich erneut ins Gefängnis. Dort lernt Wilhelm militärische Präzision, Haltung und, was es bedeutet Befehlen zu folgen.
Als er freigelassen wird, kehrt Voigt zuerst in den Schoß der Familie zurück. Seine Schwester Marie (Ina Wagler-Fendrich) und Schwager Friedrich (Michael Seeboth) nehmen die Heimatlosen auf. Bei ihnen lebt auch Liesken (Juliane Maria Wolff), eine Untermieterin die an Tuberkulose erkrankt ist, um die sich Wilhelm kümmert. Während sein Einstieg in ein neues Leben erneut scheitert, gerät Wilhelm nach dem Tod Lieskens in einen Streit mit seinem Schwager über die Regeln von Recht und Gesetz. Er beginnt, seinen nächsten Coup zu planen. Beim Trödler (Jesse Garon) erwirbt er von seinem letzten Geld die Uniform eines Hauptmannes. Sein Auftreten ist so überzeugend, dass es ihm gelingt, das Rathaus von Köpenick einzunehmen und die Stadtkasse zu plündern. Die Pässe, mit denen er in ein neues Leben starten wollte, findet er dort jedoch nicht. Nach vier Tagen auf der Flucht, stellt Voigt sich schließlich den Behörden, die bereits fieberhaft nach dem Hauptmann suchen. Zuerst will man ihm nicht glauben, dass er der Hauptmann ist, dann jedoch zieht er die Uniform an und vor den Beamten steht er: Der Hauptmann von Köpenick.
Der bekannte Film mit Heinz Rühmann aus dem Jahr 1956 wurde quasi über Nacht zum Kassenschlager. Ein ähnlicher Erfolg wird dem Musical wohl nicht vergönnt sein. Zwar konnte sich das Stück nun bereits in eine dritte Spielzeit retten und wartet durchaus mit einigen Highlights auf, im Gesamten bleibt es jedoch hinter den Erwartungen zurück. Dies wird, besonders in dieser Spielzeit, sicher auch durch die technischen Bedingungen im Spielort Admiralspalast befeuert. Während das Stück in Köpenick Open Air am Originalschauplatz des Geschehens sicher seinen Reiz hat, sind es im Admiralspalast vor allem, wie auch schon bei vorangegangenen Stücken, Ton- und Lichtprobleme, die es schwer machen den Abend wirklich zu genießen. Immer wieder übertönt die wirklich gute Band unter der Leitung von Frank Hollmann die Sänger. Im Vergleich zu anderen Stücken kann man zwar das meiste des Textes verstehen, Luft nach oben, was die Toneinstellungen angeht, wäre aber sicher noch da. Gleiches gilt für die Lichttechnik. Bewegen sich die Darsteller auf der Bühne, dauert es häufig einige Sekunden, bis sie überhaupt Licht bekommen. Zudem scheint es über den Abend mehrfach so, als müsste in der Technik erst das Licht durchprobiert werden, bis die richtige Einstellung gefunden ist, sodass in den Szenen mehrfach die Beleuchtung wechselt, bevor sie richtig erscheint.
Weitere Schwächen weist die Geschichte auf, die das Musical erzählen will. Zwar steht mit dem Theaterstück von Carl Zuckmayer aus den 1930ern eine literarische Vorlage bereit, diese scheint jedoch nur in Teilen umgesetzt. Besonders im ersten Akt fällt es schwer der Handlung zu folgen, wenn man diese nicht bereits im Vorfeld kennt. Der Akt wirkt wie eine beliebige Aneinanderreihung von Szenen und die Lieder von Heiko Stang, die größtenteils durchaus Potenzial für einen unterhaltsamen Abend hätten, scheinen wie zufällig über den Akt verteilt und wirken somit manches Mal eher als Lückenfüller. Wirklich überzeugen kann allerdings der zweite Akt. Die Geschichte wirkt verständlicher, Szenen weißen einen Zusammenhang auf und ein roter Faden ist erkennbar. Auch die Lieder passen besser in die Szenerie.
Auch das Ensemble macht es dem Zuschauer nicht immer leicht, den Abend vollends zu genießen. Besonders die Berliner Mundart gestaltet sich bei vielen Darstellern schwierig und macht es auch Nicht-Berliner recht leicht herauszuhören, wer direkt in Berlin aufgewachsen ist. Leuchtendes Beispiel, wie es sich richtig anhören sollte, ist Jesse Garon. Der gebürtige Berliner legt in allen seinen Rollen eine authentische Sprechart an den Tag und schafft es, das Ganze weder ins Lächerliche zu ziehen, noch es gekünstelt klingen zu lassen.
Darstellerisch scheint auch das Ensemble mit dem ersten Akt zu fremdeln. Zwar spielen sie alle Szene durch, aber auch ihnen gelingt es nicht, die unzusammenhängenden Fetzen zu einem Ganzen zu einen. Der zweite Akt bietet ihnen hier deutlich mehr Spielraum und Freiheit, ihr Können zu zeigen.
Der gebürtige Hamburger Maximilian Nowka hat es wahrlich nicht unbedingt leicht als Hauptmann. Er zeigt zwar, besonders im zweiten Akt, dass er im schauspielerischen stark ist, sein Gesang bleibt jedoch streckenweise hinter den Erwartungen zurück. Im Zusammenspiel mit Liesken Darstellerin Juliane Maria Wolff zeigt er jedoch auch hier, was er kann. Wolff selber tritt neben der Rolle des Liesken auch noch im Ensemble und als Sängerin im Café National auf. Während sie hier wunderbaren Gesang an den Tag legt und so einen bleibenden Eindruck hinterlässt, ist es etwas verwirrend, sie später als Liesken auf der Bühne zu sehen, da sich die Rollen, abgesehen vom Kostüm in ihrem Aussehen nicht unterscheiden.
Ansonsten bleiben im Ensemble kaum Gesichter oder individuelle Leistungen in Erinnerung. Dies mag auch daran liegen, dass das Stück viele Ensemble-Nummern und wenig Soli enthält. Die gesangliche Leistung aller ist jedoch insgesamt solide, kann jedoch sicherlich noch ausgebaut werden. Sollte man ein Gesicht benennen, bleibt hier wohl am ehesten Martin Markert als Willy und Zeitungsjunge in Erinnerung. Individuelle Leistungen bleiben eher im Schauspiel in Erinnerung. Hier zeigen sich vor allem Andreas Goebel als Bürgermeister von Köpenick, Martin Kiuntke als Hauptmann von Schlettow, und Jesse Garon als Wabschke als großartige Schauspieler. Sie holen aus ihren Rollen heraus, was diese bieten und schaffen es so, ihre Charaktere greifbar zu machen.
Wenn im ersten Akt Wabschke, Oberst von Schlettow, Adolf Wormser und Willy auf der Bühne stehen und „Haltung, Haltung, Haltung!“ fordern, scheint dies ein wenig seltsam, aber auf skurille Weise doch passend, kann man das doch als Devise für das Durchhalten des (ersten Teils) des Abends werten.