Cabaret ist in der Spielzeit 19/20 der Landesbühne Niedersachsen Nord die erste Premiere im großen Haus. Hier heißt es seit dem 7. September „Willkommen. Bienvenue, Welcome“ und das gleich einige Male, bevor das Stück durch das gesamte Spielgebiet tourt. Cabaret – ein Musical-Welthit, der die Geschichte um das Nachtclubgirl Sally Bowles bekannt gemacht hat und in das ausufernde Nachtleben der vergnügungssüchtigen Stadt Berlin der 1920er Jahre einlädt. Mit dem weltweiten Musical-Erfolg von Kander und Ebb taucht die Landesbühne Niedersachsen Nord in einer Inszenierung von Olaf Strieb tief ein, in den Sog der Goldenen Zwanziger.
Berlin, Ende der 1920er. Sally Bowles (Caroline Wybranietz), Star des berühmten Kit-Kat-Club, lernt in der Silvesternacht 1929 den jungen amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw (Victor Rabl) kennen. Sally, die von einer großen Karriere träumt, und Clifford werden schnell ein Paar. Doch die politischen Veränderungen der Zeit stehen ihrem Glück im Weg. Clifford fühlt sich im Berlin mit den erstarkenden Nationalsozialisten nicht mehr sicher, Sally ist jedoch nicht bereit die Stadt zu verlassen und damit ihren Traum vom Ruhm aufgeben.
Das Musical, welches mit seinen bekannten Hits fröhlich anmutet, widmet sich einem düstern Kapitel deutscher Geschichte. Auch die zwischenzeitlich ausgelassene Partystimmung kann darüber nicht hinwegtäuschen. Dabei ist das Stück heute, 66 Jahre nach seiner Welturaufführung, wohl so aktuell wie nie. Die zwischenzeitlich düstere Stimmung macht deutlich, was es heißt, wenn nationalsozialistische Kräfte auf dem Vormarsch sind. Trotz der teils düsteren Stimmung gelingt es den Darstellerinnen und Darstellern der Landesbühne, immer wieder die Partystimmung des Kit-Kat-Club aufleben zu lassen. Dazu tragen vor allem der Conférencier (Stefan Faupel) und seine Kit-Kat-Girls bei.
Denn eines unter vielen Highlights einer sehr gelungenen Produktion ist Conférencier Stefan Faupel. Er spielt diese Rolle, die maßgeblich durch Joel Grey (Uraufführung am Broadway) und Alan Cumming (West End und Broadway Revival) geprägt wurde, gekonnt und versteht es, sein Publikum von der erstem Sekunde an in seinem Bann zu ziehen und in die Welt des Berlin von 1929 zu entführen. Ohne überzeugenden Conferencier kein guter Kit-Kat Club – Ohne Kit-Kat Club kein Cabaret. Stefan Faupel gelingt es jedoch, die Rolle zu seiner eigenen und so Cabaret zu einem aufwühlenden Erlebnis zu machen.
Caroline Wybranietz brilliert in der Rolle der Sally Bowles und lässt in ihrer Darstellung nichts vermissen. Hat man vor ihr bekannte Darstellerinnen wie Sophie Berner gesehen, die die Rolle in der seit 2010 laufenden Produktion im Berliner Tipi am Kanzleramt maßgeblich geprägt hat, so vermag Wybranietz sich mühelos an dieser zu messen. Ihre Stimme und ihr Ausdruck verleihen der Rolle das gewisse Etwas, das es für eine überzeugende Darstellung der Sally Bowles braucht. Die in Stralsund geborene und an der Theaterakademie Vorpommern ausgebildete Schauspielerin erinnert streckenweise sogar stark an eine Mischung aus der jungen Pia Douwes und Ute Lemper, die auch schon als Sally Bowles auf der Bühne stand. Auch Victor Rabl als Clifford Bradshaw braucht sich hinter seiner starken Bühnenpartnerin nicht verstecken. Mit viel Charme spielt er den etwas tollpatschigen Charakter und bleibt neben Wybranietz dabei keineswegs blass. Mit einer stimmlich und schauspielerisch starken Leistung gibt es ein gelungenes Debut an der Landesbühne.
Der den Nazis nahestehende Ernst Ludwig, Rabls Gegenpart, wird sehr überzeugend von Robert Zimmermann dargestellt. Die fanatische Rolle spielt er so hervorragend, dass man mit einem bedrückenden Gefühl in die Pause geht und erst nach und nach den Weg in die Realität zurückfinden muss. Deutlich wird dies vor allem darin, dass der erste Akt nicht mit Applaus schließen mag, was viel Raum für Diskussionen bietet. Ergänzt wird die Cast durch Franziska Kleinert und Christoph Sommer als Fräulein Schneider und Herr Schultz. Beide spielen das ältere, deshalb aber nicht minder verliebte Pärchen hervorragend und besonders Kleinert weiß in ihren gesanglichen Partien zu überzeugen. In ihrem Zusammenspiel mit Leontine Vaterodt, die das Fräulein Kost darstellt, wird zudem die schauspielerische Qualität der beiden so unterschiedlich anmutenden Darstellerinnen deutlich.
Als Kit-Kat-Girls stehen in Wilhelmshaven Paula Clausen, Katharina Kück, Lenke Lemke, Philipp Osterkamp, Leontine Vaterodt und Jördis Wölk auf der Bühne. Alle sechs spielen, singen und tanzen wunderbar und komplettieren so, gemeinsam mit Thomas van Allen, der wahlweise den Zollbeamten oder einen der Liebhaber von Fräulein Kost gibt, die Cast. Besondere Erwähnung verdient das „Kit-Kat-Orchester“ unter der Leitung von Simon Kasper. Alle sechs Musiker nehmen auf der Bühne Platz und sind so unmittelbarer Teil des Geschehens. Kasper gelingt es, dass die Musik immer auf den Punkt ist, aber nie die Darsteller in den Hintergrund drängt. Auch die Choreografie von Gabriel Galindez Cruz und die Kostüme von Herber Buckmiller unterstreichen die Atmosphäre des Clubs und lassen die 1920er für gute zwei Stunden lebendig werden.
Es gibt wohl nur wenige Stücke, die zwar in 1929 spielen, sich ihres Themas wegen aber mühelos auf die heutige Zeit übertragen lassen. Cabaret macht eindrücklich deutlich, wie sich eine Gesellschaft und die Menschen mit ihr bei einem Rechtsruck verändern. Das Thema scheint, besonders vor dem aktuellen politischen Hintergrund aktueller denn je.
Maybe Musical – Der Name verpflichtet. An Cabaret stellt man als Redaktionsmitglied deshalb vielleicht besondere Ansprüche. Der Landesbühne gelingt es jedoch mühelos diese zu erfüllen und alle Erwartungen zu übertreffen. Für jeden Musicalbegeisterten der Region ist das Stück ein unbedingtes Must-See! Infos zu Spielterminen und Tickets gibt es auf der Seite der Landesbühne Nord.