Die Oper Dortmund hat sich in den letzten Jahren nicht nur durch hervorragende Inszenierungen im Schauspiel, faszinierende Abende mit den Dortmunder Philharmonikern, Ballett, Kinder- und Jugendtheater oder Konzerten einen Namen gemacht, sondern wartet auch jährlich mit Musicals auf, die den Vergleich mit den großen Ensuite Produktionen keinesfalls scheuen müssen.
War es in der Spielzeit 2017/18 „Hairspray“, ein Musical von Marc Shaiman, mit dem das Theater brillieren konnte, ist es in 2018/19 der Klassiker „West Side Story“ mit der Musik des unsterblichen Leonard Bernstein und Gesangstexten von Stephen Sondheim. Regisseur Gil Mehmert, der für seine gekonnten Inszenierungen weit über das Ruhrgebiet hinaus bekannt ist, bringt, erneut in Zusammenarbeit mit den Dortmunder Philharmonikern, unter der Leitung von Philipp Armbruster, großes Kino auf die Theaterbühne.
Als das Stück, das auf William Shakespeares Romeo und Julia basiert, 1957 in New York uraufgeführt wurde, hat sicher niemand mit einem solch großen und langanhaltenden Erfolg gerechnet. Dem Ganzen eine, was nicht vorauszusehen war, auch auf die heutige Zeit noch umzusetzende Aktualität zu verleihen, war zunächst so gar nicht geplant. Anstelle des Liebespaares, das aufgrund ihrer Eltern nicht zu einander finden durfte, sollten es Liebende aus den Reihen der Katholiken und der Juden sein. Später erst bemerkte man, dass der Konflikt der Halbstarken in Amerika gegen die Puerto Ricaner zu diesem Zeitpunkt viel aktueller war als die ursprünglich angedachte Fassung.
„Der Spagat zwischen sozialer Realität und großer Poesie“, wie sich Regisseur Gil Mehmert in einem Interview zu der Story äußerte, ist ihm in seiner Inszenierung ohne jeglichen Zweifel hervorragend gelungen. Dennoch ist die Romantik, die der Zuschauer bei Romeo und Julia zu Recht erwartet, einem Hinterhof-Straßenbild gewichen, bei dem in den Straßen der New Yorker West Side die Jets, eine Gang von amerikanischen Jugendlichen und die Sharks, eine Gruppe zugewanderter Puerto Ricaner, darum kämpfen, sich die Vorherrschaft im Viertel zu sichern. Officer Krupke (Edward Steele) und der zynische Lieutenant Schrank (Daniel Berger) bemühen sich zwar, immer wieder die Wogen zu glätten, jedoch ist der Erfolg dabei mäßig.
Als die Jets beschließen bei einem Tanzabend den Sharks eine Kampfansage zu unterbreiten, ahnen sie nicht welche Konsequenzen das Ganze nach sich zieht. Riff (Markus Schneider), Anführer der Jets, möchte seinen besten Freund Tony (Anton Zetterholm) überreden, ihm zu helfen, obwohl dieser der Gang längst den Rücken gekehrt hat. Nach einigem Bitten gibt Tony nach. Zeitgleich legen die beiden puerto-ricanischen Mädchen Anita Dorina Garuci), die mit Bernardo (Sascha Luder), Marias (Iréna Flury) Bruder liiert ist und Maria selbst, die dessen Freund Chino (Ben Cox) heiraten soll, letzte Hand an ihre Kleider für den Abend.
Es kommt wie es kommen muss: Tony und Maria begegnen einander beim Tanz und verlieben sich auf den ersten Blick. Um nicht zur Zielscheibe der rivalisierenden Gangs, zu werden, treffen sich die beiden heimlich. Tony setzt nun alles daran die Kampfhandlungen so klein wie möglich zu halten und besteht auf einem Zweikampf. Der jeweils stärkste aus der Gang soll stellvertretend für die anderen antreten. Während Bernardo und Diesel zu kämpfen beginnen versucht Tony Frieden zu schlichten. Bei einem unkontrollierten Handgemenge ersticht Bernardo Riff. Kurz darauf ereilt Bernardo, ausgeführt durch Tony, das gleiche Schicksal.
Damit endet der erste Akt, der ein schon jetzt begeistertes Publikum in die Pause entlässt. Nicht minder dramatisch wird die Geschichte im zweiten Akt fortgeführt. Währenddessen Maria nur noch an Tony denkt, werden ihre Träumereien jäh durch die Nachricht vom Tod ihres Bruders unterbrochen, die Chino überbringt. Tony versucht Maria den tragischen Vorfall zu erklären bevor er sich der Polizei stellt, was ihre Liebe zu ihm nicht zerstören kann. Officer Krupke ist inzwischen auf der Suche nach Bernardos Mörder, wird aber von den Jets, die er dazu zur Rede stellt nur verhöhnt. Anita hingegen hat kein Verständnis für die noch immer währende Liebe Marias zu Tony und lässt sie wissen, dass Chino Rache an Tony nehmen möchte. Auf ihrem Weg Tony zu warnen, wird sie von Lieutenant Schrank aufgehalten, der sie zu dem Vorfall verhört. An ihrer Stelle erreicht Anita die Tankstelle von Doc (Axel Gottschick), den Treffpunkt der Jets. Dort wird ihre gute Absicht allerdings nicht anerkannt, im Gegenteil die Halbstarken vergehen sich an ihr. Aus Rache setzt sie die Lüge in die Welt, Chino hätte Maria erschossen. Doc wiederum gibt dies an Tony weiter. Verzweifelt sucht er nach Chino um Marias Schicksal zu teilen. Als Maria plötzlich auftaucht ist es jedoch bereits zu spät. Von Chino durch einen Schuss tödlich verletzt, stirbt Tony in Marias Armen.
Bis zu diesem Punkt darf man durchaus uneingeschränkt bereits behaupten, dass nicht nur die durchweg hervorragenden Darsteller bestechen, sondern auch das bis auf den letzten Punkt durchdachte Bühnenbild. Jens Kilian und sein Team haben dabei ganze Arbeit geleistet. Den Mittelpunkt bildet ein schieb- und drehbares Gebäudeteil, das durch geschicktes Drehen, mal eine Werkstatt, mal ein Brautgeschäft und dann wieder zu einer Tankstelle wird. Als Terrasse genutzt, kann selbst das Flachdach in die Szenen eingefügt werden. Die Hinterhöfe der Wohngebäude säumen links und rechts die Bühne und unterstreichen allein dadurch den imaginären Graben, der die beiden Gruppen voneinander trennt.
Gleichfalls wohlüberlegt wurden die Kostüme von Jana Bechert ausgewählt. Wenn man etwas genauer hinsieht, bemerkt man, dass die Sharks, einerseits sehr individuell, andersherum farblich abgestimmt gekleidet sind und insgesamt an Farbigkeit die Jets überbieten. Es könnte auch behauptet werden, die Farbenvielfalt hat sich dem Lebensstil der Puerto Ricaner angepasst. So fällt es deutlicher leichter, die durch viele Tanzeinlagen gemischten Gruppen, zu differenzieren.
Natürlich steht und fällt eine Inszenierung nicht nur mit Kostümen, Bühnenbild und Orchester, das hier erneut eine absolute Spitzenleistung abliefert, sondern auch mit den Darstellern. Die Kunst eine Rolle passend zu besetzen beherrscht Gil Mehmert auf das Feinste. Mit Anton Zetterholm, dem „Ur-Tarzan“ aus Hamburg, als Erstbesetzung des Tony, liegt er erneut goldrichtig, denn mit der Aufnahme des Stückes in den Dortmunder Spielplan konnte Mehmert auf bereits Bewährtes zurückgreifen. Sowohl Zetterholm, als auch Markus Schneider, Sascha Luder oder Iréna Flury um nur einige zu nennen, ist die Story und Inszenierung sicherlich noch von den Domfestspielen in Magdeburg 2017, wo sie in den gleichen Rollen auf der Bühne standen, in bester Erinnerung.
Gesanglich neu in dieser Konstellation werden sie von Dorina Garuci als Anita unterstützt, die neben ihrer Rolle in der West Side Story auch in „Wahnsinn – Das Musical“ 2019 in zahlreichen Städten zu sehen sein wird. Stimmlich jetzt eine bestimmte Rolle hervorzuheben wäre an dieser Stelle sicherlich nicht ganz richtig, leisten doch alle Darsteller in diesem Stück großartiges. Dem Zuschauer wird an vielen Stellen bewusst, auch wenn er das Stück zum ersten Mal sieht, wie viele der Songs er in irgendeinem Zusammenhang schon mal gehört hat. Es ist Party und Drama zugleich und ist trotz seines Alters aktueller denn je.
Das Stück beschert den Zuschauern einen kurzweiligen Abend, der gleichermaßen beschwingt wie nachdenklich werden lässt. Da alle regulären Vorstellungen, die auf dem Spielplan stehen binnen kürzester Zeit ausverkauft waren, hat die Oper Dortmund nun zwei Zusatztermine ins Programm genommen. Am Freitag, 15. März 2019 und am 20. April 2019 bietet sich noch einmal die Möglichkeit, die West Side Story zu besuchen. Der Kartenvorverkauf ist bereits gestartet.