In jedem von uns wohnen zwei Seelen. Gut und Böse. Ein schmaler Grad liegt zwischen dem Guten und dem Bösen… Mit Jekyll & Hyde bringt das Theater Vorpommern das vermutlich bekannteste Stück von Komponist Frank Wildhorn auf die Bühne. Nach großem Erfolg in der Open Air Saison 2016, ist das Stück, um die Zerrissenheit von Dr. Henry Jekyll und sein Kampf mit Edward Hyde, 2017 in den Theatern Stralsund und Greifswald zu sehen. Neben Chris Murray, der die Rolle bereits beim Open Air innehatte, stand in dieser Saison auch Veit Schäfermeier zu zwei Terminen in der Paraderolle des Dr. Jekyll/Mr. Hyde auf der Bühne.
Die Geschichte von Jekyll und Hyde ist nicht neu. Robert Louis Stevenson veröffentlichte seinen Roman bereits im Jahr 1886. 1990, über 100 Jahre später, feierte das Musicals konzipiert, komponiert und geschrieben von Steve Cuden, Leslie Bricusse und Frank Wildhorn im texanischen Houston seine Uraufführung. 1999 folgte schließlich die deutschsprachige Erstaufführung am Musical Theater Bremen. Ab 2001 stand auch Veit Schäfermeier hier bereits als Cover für die Rolle des Jekyll/Hyde auf der Bühne.
Die Szenerie spielt im London des 20. Jahrhundert. Der Arzt und Wissenschaftler Dr. Henry Jekyll (Veit Schäfermeier) ist der festen Überzeugung, ein Mittel gefunden zu haben, welches ihm erlaubt, das Gute im Menschen vom Bösen zu trennen. Das Schicksal seines Vaters, der als Pflegefall dauerhaft im Krankenhaus ist, ist es welches ihn antreibt. Da die Krankenhausleitung sich weigert, ihm seine Experimente am lebenden Objekt zu betreiben, weiß Jekyll sich schlussendlich nicht mehr zu helfen und begibt sich selbst in Gefahr, indem er selbst sein Mittel trinkt. Zuerst scheint auch alles gut zu laufen, aber dann bricht das Böse in ihm hervor. Edward Hyde, Jekylls böse Seite, ringt mit ihm um die Herrschaft in seinem Körper. Nachdem Hyde schließlich Jekyll zurückgedrängt hat, geht er auf Jagd durch London. Er will sich an all jenen rächen, die ihn an seinen Experimenten gehindert haben. Der Krankenhausvorstand, bestehend aus dem Bischof von Basingstoke (Andrey Valiguras), Lord Savage (Bernd Roth), General Lord Glossop (Valmar Saar), Sir Archibald Proops (Alexej Trochin) und Lady Beaconsfield (Doris Hädrich-Eichhorn), muss als erstes dran glauben.
Aber Henry Jekyll ist nicht allein. Selbst im Wahn, wenn er besessen ist von Hyde, versucht er noch die, die ihm am Herzen liegen, vor seiner Bösen Seite zu schützen. Einerseits ist da sein Anwalt und gleichzeitig bester Freund Gabriel John Utterson (Thomas Rettensteiner). Dieser stand immer an Jekylls Seite und ist auch noch für seinen Freund da, selbst als Hyde ihn angreift und verletzt. Aber da sind auch noch die Frauen in Jekylls Leben. Einerseits seine Verlobte Lisa Carew (Brigitte Bayer), die Tochter des Krankenhausdirektors Sir Danvers Carew (Alexandru Constantinescu), die Jekyll zwar liebt, aber von der er sich von Beginn seines Experiments abwendet. Und andererseits ist da Lucy Harris (Kristi Anna Isene), eine Prostituierte, die Jekyll trifft als er eines Abends mit Utterson seinen Junggesellenabschied feiert. Von ihr ist besonders auch Hyde fasziniert, sodass er immer wieder nach ihr sucht, wenn er Jekylls Körper beherrscht. Sie ist es schließlich auch die, wenn auch eher ausversehen, Hydes nächstes Opfer wird, als dieser erfährt, dass Jekyll will, dass sie London verlässt, damit sie vor Hyde sicher ist. Für den Moment scheint Hyde vom Tod Lisas geschockt, sodass es Jekyll schließlich gelingt, zu seiner Hochzeit mit Lisa aufzutauchen. Aber auch hier bliebt Hyde nicht lange fern, sondern bricht hervor. Jekyll fleht seinen Freund Utterson an, ihn zu richten, um sie alle von Hyde zu erlösen. Als Utterson zögert, stürzt Jekyll sich selber in die Klinge und beendet so auch das Leben von Hyde.
Klar dominiert wird die Szenerie des Abends von den vier beweglichen Elementen, die sich auf der Bühne befinden und mit den Motiven an die seitlichen Bühnenelemente anknüpfen. Mit unterschiedlichen Motiven auf den drei Seiten werden so von Christopher Melching (Bühne und Kostüme) auf kleiner Bühne schnell die verschiedensten Räume und Szenarien geschaffen. Einziges Manko hierbei bleiben die Bühnenarbeiter, die gemeinsam mit dem Ensemble die Elemente drehen und so die Räume schaffen. Hätte man hier die schlichten Umhänge und Hüte des Ensembles auch für die Bühnenarbeiter verwendet, wären diese deutlich besser mit der Szenerie verschmolzen und hätten weniger vom Geschehen abgelenkt.
Der Star des Abends ist unbestritten Veit Schäfermeier. Der am Konservatorium Wien ausgebildete Darsteller hat in Greifswald exklusiv für zwei Vorstellungen die Titelrolle des Dr. Jekyll/Mr. Hyde übernommen. Bereits direkt im Anschluss an seine Ausbildung stand Schäfermeier in eben jener Rolle in Bremen, Wien und Köln auf der Bühne. Zu seinen weiteren großen Erfolgen zählt zudem seine Interpretation der Rolle des Professor Abronsius in Tanz der Vampire, wo er bereits ab 2005 in Hamburg und Berlin (2006 und 2011-2013) auf der Bühne stand. Weitere Erfolge feierte er in Ich war noch niemals in New York (Hamburg), Der Schuh des Manitu (Berlin) und The Scarlet Pimpernel (Bielefeld und Chemnitz). Schäfermeier weiß am Theater Greifswald sowohl als guter Dr. Jekyll und böser Mr. Hyde zu überzeugen. Mühelos meistert er die stimmlichen Höhen und Tiefen und schlüpft scheinbar in Sekundenbruchteilen von einer Rolle in die andere. Obwohl zu Beginn nur die Frisur Jekyll und Hyde unterscheiden, weiß Schäfermeier durch Stimme und Ausdruck den Unterschied zwischen den Charakteren darzustellen. Besonders seine Soli „Dies ist die Stunde“ und „Konfrontation“ begeistern das Publikum und zeigen die Wandlungsfähigkeit des Darstellers.
Heimlicher Star des Abends, neben Schäfermeier, ist Thomas Rettensteiner als Anwalt Gabriel John Utterson. Der ebenfalls in Wien ausgebildete Opernsänger begeistert neben der Darstellung, immer schwankend zwischen Ernsthaftigkeit und Komik, vor allem durch sein unglaubliches Stimmvolumen. Auch wenn er sich hier scheinbar noch zurückhält, ist seine Stimme in den Ausmaßen, die ihm die Rolle bietet bereits beeindruckend. Auch die anderen Herren im Ensemble begeistern durch ihre Stimmgewalt. Auch wenn ein Stück wie Jekyll und Hyde auf den ersten Blick vielleicht nicht mit Opernstimmen zu erwarten wäre, fügen sich die Herren sehr gut in die Kompositionen von Wildhorn ein. Allen voran hier Alexandru Constantinescu und Andrey Valiguras als Sir Danvers Carew und Bischof von Basingstoke.
Anders verhält es sich leider bei den Damen. Während sie sich in den Ensemblestücken wie „Fassade“ und „Mörder“ gut ins Gesamtbild einpassen, fallen vor allem „Schaff die Männer ran“ sowie Lisas und Jekylls Duett „Nimm mich wie ich bin“ negativ auf. Besonders bei ersterem wünscht man sich bloß, dass das Stück vorbeigehen möge, da sich Kristi Anna Isene als Lucy deutlich durch das Stück zu kämpfen scheint. Die Verkörperung der Lucy, die zu allem bereit ist, scheint ihr generell weniger zu liegen, als die fokussiertere, teils auch verzweifeltere Lucy im zweiten Akt. Hier gelingt ihr besonders das Zusammenspiel mit Schäfermeier in „Gefährliches Spiel“. Brigitte Bayer, die an diesem Abend als Ersatz für die erkrankte Jardena Flückinger auf der Bühne steht, mag vielleicht auch aufgrund ihres spontanen Einsatzes das Einfinden in die Rolle nicht recht gelingen. Zwar scheint sie sicher in Choreografie und Text, aber stimmlich will sich ihre Darstellung nicht recht in das Bild einfügen. Der Opernaspekt ist hier deutlich überwiegend, wodurch sie besonders an schnelleren Stellen nicht ins Bild des Musicals passen mag. Auf Seite der Damen am meisten zu beigeistern, weiß Fanny Gundlach als Nellie, die Utterson und Jekyll in Kontakt mit Lucy bringt. Ihre Darstellung wirkt authentisch und sie trägt das Kostüm der Prostituierten mit dem nötigen Selbstbewusstsein.
Kostüme wie auch Bühnenbild wurden von Christopher Melching geschaffen. Während das Bühnenbild zu überzeugen weiß, wirken die Kostüme der Damen, besonders der Prostituierten, teils etwas schlecht sitzend oder in späteren Szenen unvollständig, wenn die Prostituierten ohne Rock herumlaufen. Hier hat es sicherlich schon gelungenere Kostüme für das Stück gegeben.
Das Philhrmonische Orchester Vorpommern unter der Leitung von Henning Ehlert, ist neben Schäfermeiers und Rettensteiners Darbietung das Highlight des Abends. Mit kraftvollem Klang erweckt das Orchester die Orchestrierung von Kim Scharnberg und die Arrangements von Jason Howland zum Leben. Trotz weitem offenem Orchestergraben übertönen sie die Darsteller jedoch nie.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem Theater Vorpommern mit der Inszenierung von Jekyll & Hyde eine große Leistung gelungen ist. Trotz einiger Schwächen, bietet das Team einen unterhaltsamen Abend. Die Faszination, die von dieser Geschichte ausgeht, wird hier getragen vom Hauptdarsteller an das Publikum transportiert. Der langanhaltende Applaus und die Standing Ovationes sind der verdiente Lohn für eine gute Arbeit.