„We sing the Murder Ballad’s warning…”, schon zu Beginn wird klar, dass es sich bei Murder Ballad kaum um ein klassisches Musical handelt. Wenn die Erzählerin bereits zehn Minuten vor Beginn des Stückes mit dem Rücken zum Publikum auf der Bühne sitzt und raucht, während im Hintergrund leise Musik läuft, fragt man sich noch, was passiert. Spätestens jedoch als die rockige Musik erklingt und die rauchigen Stimmen von Victoria Hamilton-Barritt (Erzählerin) und Ramin Karimloo den Auftaktsong dominieren und scheinbar wahllos Kleidung auf der Bühne verteilt wird, wird die Neugier geweckt.
Sara (Natalie McQueen) lebt in New York. Ihr Leben besteht aus Alkohol und Partys. Als Barkeeper Tom (Ramin Karimloo) in ihr Leben tritt, kommt eine weitere Komponente hinzu: Sex. Die Leidenschaft zwischen den beiden kocht schnell hoch. Sie lieben sich leidenschaftlich und ungezügelt. Aber genauso streiten sie auch.
Als schließlich die Trennung folgt, ertrinkt Sara ihren Kummer im Alkohol. In ihrem Rausch trifft sie auf den Poeten Michael (Norman Bowman). Auch wenn die beiden verschieden sind wie Tag und Nacht, finden sie zueinander. Sie heiraten, Sara wird schwanger, Tochter Francessca Jane kurz Franky, erblickt das Licht der Welt und alles scheint perfekt. Aber wie es so oft ist, der schöne Schein trügt. Sara wird immer häufiger von dunklen Gedanken verfolgt. Dies geht soweit, dass sie ihren Ex Tom anruft. Beide treffen sich und stürzen sich kopfüber in eine Affäre. Aber es kommt was kommen muss. Michael schöpft verdacht und als Sara sich von Tom trennen will, reagiert dieser aggressiv und verfolgt die Familie beim Ausflug in den Park, wo Liebhaber und Ehemann zum ersten Mal aufeinander treffen. Der Höhepunkt naht.
Noch sind alle am Leben, aber es kommt zur Konfrontation in Toms Bar. Einer der Akteure wird den Abend nicht überleben. Tom ist es, dessen Tod am nächsten Tag die Schlagzeilen dominiert und allen Rätsel aufgibt: „Unsolved murder at Kings Club…“. Aber wer hat Tom umgebracht? Sara oder Michael? Oder war noch jemand anders im Spiel?
Den Produzenten von Murder Ballad in London ist mit der Besetzung ein Geniestreich gelungen. Mit Ramin Karimloo als Tom und Kerry Ellis als Sara stehen zwei internationale Stars auf der Bühne des Arts Theatre. Ramin Karimloo bekannt aus Stücken wie Evita, Les Misérables und Phantom der Oper wird seiner Rolle als Tom vollkommen gerecht. Er beherrscht vor allem die rockigen Parts des Stückes mit seiner außergewöhnlichen Stimmfarbe. Aber auch optisch bietet er viel. Als er mit nacktem Oberkörper auf der Bühne steht, sich auch noch die Jeans vom Leib reißt und seine Tattoos im schummerigen Licht hervortreten, scheint er nicht nur stimmlich wie gemacht für die Rolle.
Aber auch Natalie McQuenn, die an diesem Abend anstelle von Kerry Ellis als Sara auf der Bühne steht, füllt die Rolle perfekt aus. Die Darstellerin, die bisher bereits in Wicked, Chess und Spring Awakening auf der Bühne stand, meistert mit ihrer glockenklaren Stimme sowohl rockige als auch ruhigere Partien mühelos. Der Wechsel zwischen partymachender Rockerin und liebevoller Ehefrau und Mutter gelingt ihr perfekt. Zwar haben wir keinen direkten Vergleich, aber kaum einer, der die perfekte Natalie McQueen hört, wird Kerry Ellis vermissen, so überzeugend agiert McQueen.
Aber auch Norman Bowman in der Rolle des Michael braucht sich nicht hinter Star Ramin Karimloo verstecken. Der Darsteller, der schon in Stücken von Les Misérables über Mamma Mia bis hin zu Cats und Grease auf der Bühne stand, begeistert durchweg, brilliert aber vor allem in den ruhigeren Passagen. Aber auch im Rockigen kann er mit Karimloo Schritt halten und wird keinesfalls von ihm dominiert.
Herausragend spielt, genau wie ihre Kollegen, Victoria Hamilton-Barritt, die bereits aus Stücken wie Fame, Flashdance und In the Heights bekannt ist. Ihre wunderbar rauchige Stimme intoniert die Lieder in besonderer Weise und sie stellt so automatisch eine perfekte Stimmung für die Thematik des Stückes her. Ihr darstellerisches Können zeichnet sie aus, wenn sie durch ihre Präsenz und ihre Stimme von der Seitenlinie nicht nur zu erzählen, sondern gar zu lenken scheint.
Auch generell gelingt es den Darstellern, eine großartige Atmosphäre und Dramatik zu kreieren. In den Liebesszenen scheint die Luft zwischen Karimloo und McQueen zu knistern. Dieses Knistern schlägt jedoch auch authentisch zu Aggression, Angst und Verzweiflung um. Licht- und Videoinstallationen, die die Stimmung auf der Bühne aufgreifen, sind beeindruckend eingesetzt. Saras und Michaels Tochter Franky wird hier in entsprechenden Szenen eingeblendet, sodass nicht der Eindruck entsteht, beide würden mit dem luftleeren Raum sprechen. Einziger kleiner Wehrmutstropfen hier, und wohl damit auch einziger im ganzen Stück, ist es, dass in entsprechenden Videoabschnitten Ellis zu sehen ist, obwohl McQueen auf der Bühne steht.
Zu guter Letzt nicht unerwähnt bleiben sollten die vier Musiker, die eineinhalb Stunden hindurch Livemusik bieten. Bei einem solch kleinen Theater beeindruckt dies besonders, bedenkt man die Einsparungen bei der Livemusik in deutlich größeren Häusern. Zum Teil wird die Band, die versteckt hinter den Videowänden spielt, sogar aktiv ins Geschehen eingebunden.
Alles in allem lässt sich sagen, dass hier eine nahezu perfekte Produktion geschaffen wurde, die ihresgleichen sucht. Es bleibt nur zu wünschen, dass Murder Ballad in einem solchen Rahmen auch den Weg auf die deutschen Bühnen findet.
Wer schon mal reinschauen möchte, HIER gibt es einen Ausschnitt beim diesjährigen West End Live zu sehen. Live besteht noch bis zum 3. Dezember 2016 die Möglichkeit das Stück für kleines Geld im Arts Theatre in London zu sehen.